Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
oder Apoll sein, der sich zur Schlacht bereitgemacht hat. Doch er ist Janus, ein heimtückischer Verräter. »Es gibt immer eine Wahl. Du hattest auch zuvor die Wahl. Du hast dich für Underwood entschieden.«
»Du hast mich belogen.«
»Wie bitte?«
»Du hast mir nicht genug vertraut, um mir zu erzählen, was du getan hattest. Dass du bei Julian warst und eine Abmachung mit ihm getroffen hast. Wenn du mir vertraut hättest, wäre nichts von alledem passiert.«
Ich muss meinen Zorn herunterschlucken, damit ich sprechen kann. »Wage es ja nicht, auch nur anzudeuten, dass das, was in Biarritz passiert ist, meine Schuld gewesen sei. Du hast mich betäubt und mich diesem Irren ausgeliefert. Du hast danebengestanden, während er versucht hat, mich zu vergewaltigen. Und dann hast du den Schwanz eingekniffen und dich davongeschlichen, als es nicht so lief wie geplant. Ich habe getan, was ich tun musste, um dich zu schützen. Du hast das alles getan, um dich selbst zu schützen.«
Die Stammesführer werden unruhig. Die meisten verstehen die Worte nicht, die Lance und ich wechseln. Die paar, die uns verstehen, interessiert es nicht. Sie wollen endlich einen blutigen Kampf sehen. Ich spüre, wie ihre Ungeduld wächst. »Ich will nicht gegen dich kämpfen«, flüstert Lance. »Aber ich will auch nicht sterben.«
Einen flüchtigen Augenblick lang frage ich mich, was passieren würde, wenn ich der Versammlung verkünde, dass derjenige, der meine Geschichte über Williams bestätigen kann, hier vor ihnen steht. Würde Lance lügen? Das spielt keine Rolle. Der Gerechtigkeit muss Genüge getan werden, so oder so. »Daran hättest du denken sollen, ehe du mich von Underwood hast begrabschen lassen.«
Turnbull tritt hinter mich und reicht mir einen Pflock, wie Lance ihn in der Hand hat . Seid ihr bereit?
Ich nicke. Lance richtet sich auf und packt seinen Pflock fester.
Kämpft.
Lance führt den ersten Angriff. Er stürzt auf mich zu, aber er bewegt sich ungeschickt, und ich brauche nur beiseitezutreten, um dem Pflock auszuweichen, den er wie einen Dolch vor sich hochhält. Ich lande einen seitlichen Tritt in sein Kreuz, und er fällt auf die Knie in den Staub. Er versteht nichts vom Kämpfen. Sein gutes Aussehen und die Fittiche eines fünfhundert Jahre alten Vampirs haben seine animalischen Instinkte verkümmern lassen. Er kommt taumelnd auf die Füße und wirbelt zu mir herum. Zum ersten Mal erlebe ich, wie sein Zorn die Bestie hervortreten lässt.
Zorn ist nicht genug. Ich habe als Mensch gelernt, mich zu verteidigen. Das gehörte zu meinem Beruf als Kopfgeldjägerin. Als Lance mich zum zweiten Mal angreift, packe ich seine Hand und verdrehe seinen Arm so weit nach hinten, dass ich ihm die Schulter auskugele. Er jault auf und drückt sich rücklings an mich, um den Druck zu mindern. Ich könnte ihn jetzt umbringen. Ich könnte ihm die eigene Waffe durch den Rücken ins Herz treiben und diese Farce hier beenden. Die Zuschauer wissen es auch. Sie sind wütend, weil der Kampf so schnell vorbei ist, und frustriert, weil ihre Blutgier nicht befriedigt wird. Sie wollen einen von uns blutend im Staub liegen und um Gnade betteln sehen. Sie wollen die Angst wittern und den Schmerz hautnah erleben.
Lance schreit auf. »Bitte, Anna. Ich liebe dich.« Einen Moment lang bin ich hin- und hergerissen – aber nicht aus Mitleid mit Lance. Er verdient kein Mitgefühl. Nein, ich frage mich, ob ich dasselbe will. Bin ich nicht besser als die Bestien, die uns beobachten? Will ich noch ein bisschen länger mit Lance spielen? Ihm einen Knochen nach dem anderen brechen, bis er um den Tod bettelt?
Die Kräfte in diesem Kampf waren so ungleich verteilt, dass die Vampirin in mir noch nicht entfesselt ist. Aber jetzt, da ich Lance an mich drücke, werde ich mir plötzlich der pulsierenden Ader bewusst, nur einen Kuss weit entfernt. Sie lockt die Vampirin an, und die Bestie springt mit einem Knurren und schnappenden Kiefern hervor. So soll es sein. Ich werde Adele und seiner Familie etwas übrig lassen, worum sie trauern können.
Ich lasse den Pflock fallen und packe den sich windenden Körper fester. Kräftemäßig ist er mir nicht gewachsen. Ich zerre seinen Kopf zurück, während Lance sich aufbäumt und zu befreien versucht. Mit einem Knurren begrabe ich das Gesicht an seinem Hals und beiße nach der Schlagader, bis ich spüre, wie die Haut reißt. Ich finde die Ader und trinke.
Kapitel 46
Es wird totenstill um uns herum. Ich kann die
Weitere Kostenlose Bücher