Anna und Anna (German Edition)
sein?
Nein, der Welt müsste es leidtun. Gott müsste es leidtun, wenn es ihn gibt. Er müsste sich schämen, mir meine Oma Bloom genommen zu haben. Er hat es getan, es kann ihn nicht geben.
Es gibt nur den Schmerz, den Schmerz in mir. Sogar meine Haarwurzeln tun mir weh, sogar meine Zehenspitzen, so tief ist der Schmerz. Und ich soll mich zusammenreißen?
Ich bin zu ihm gerannt. Ja, gerannt bin ich, wie damals, als wir uns barfuß über die sommerwarmen Pflastersteine jagten.
Er Cowboy, ich Indianer.
Er Admiral, ich Pirat.
Wir Freunde.
Wir Feinde: Der Schmerz ist weg, jetzt ist da die Wut, und die ist so laut in mir, fast sehne ich mich nach dem stillen, stummen Schmerz zurück. Die Wut ließ mich nicht länger auf meinem Bett durch die Zeit treiben, sie ließ mich aufspringen und losrennen.
Meine Füße kennen den Weg, so oft sind sie ihn gegangen. Da ist sein Haus.
Und da ist Jan.
Er hat gar nichts gesagt. Nur angesehen hat er mich.
Und ich, ich habe …
Ich weiß es nicht mehr, Oma.
Aber ich denke, ich muss geschrien haben. Und geweint. Denn am Ende, da war meine Stimme nur noch ein Krächzen und meine Kehle tat so schrecklich weh. Ich habe auf dem Boden gesessen und gezittert.
Und dann war Jan neben mir und nahm mich in die Arme. Ganz fest.
Er sagte: »Es tut mir so leid, Bloom.«
Er sagte: »Ich bin hier, Bloom.«
Ich sagte, und meine Stimme klang seltsam rau und heiser, als ich es tat: »Aber du wirst wieder weggehen. Wie Oma.«
»Nein, nicht wirklich, Bloom«, sagte Jan da. »In Wirklichkeit nie.«
Wie du. Du hast mir einmal etwas Ähnliches versprochen. Geschrieben, glaube ich, hast du es. Ich werde es nachlesen, dafür dass ich es nachlesen kann, danke ich dir. Sollte ich irgendwann anfangen zu vergessen, was genau du mir gesagt hast in den vergangenen Jahren, schaue ich einfach in den Briefen nach. Um mich an dich zu erinnern, brauche ich sie nicht. Dich werde ich nie vergessen.
Während ich schon wieder weine, still und leise dieses Mal, fast friedlich, hält Jan mich weiter fest. Erst als seine Schulter schon ganz nass geweint ist, höre ich auf. Ich hebe den Kopf. Ich rümpfe die Nase. Und ich frage: »Was ist Anastasia überhaupt für ein Name?«
Da lacht er leise. »War Cecilie besser?«
Ich schüttle den Kopf.
»Tja, weißt du«, sagt er und schaut mir in die Augen. »Es ist eben so: Keiner ist wie Anna Bloom.«
Liebste Oma Bloom,
wir haben einen Apfelbaum für dich gefunden. Es ist dein Apfelbaum. Er hat auf dich gewartet. Genau wie dein linkes Bein. Jetzt könnt ihr wieder zusammen sein, Asche zu Asche, so heißt es doch.
Wir haben nicht geweint. Wir haben uns an den Apfelblüten gefreut. Und als dann der Wind durch die Äste fuhr und Blütenblätter auf uns und dich und dein Bein herabschneien ließ, da haben wir gelächelt.
Es ist wieder Frühling, Oma.
Lieber Henri,
du freust dich, wenn du weiter Briefe bekommst, unter denen »Anna Bloom« steht? Ja, dann werde ich dir natürlich weiter schreiben. Das mache ich sogar sehr, sehr gerne.
Obwohl ich ja die falsche Anna bin, kann ich doch mit dir über deine Anna reden. Über unsere.
Aber wenn du willst, erzähle ich dir auch ein bisschen von dieser Anna Bloom, die ohne die andere zurückgeblieben ist. Und sie sehr vermisst.
Anna Bloom
Ahoi, Leichtmatrose!
Ich breche auf zu neuen Ufern, Oma.
Auch wenn du nicht mehr da bist, um meine Segel zu setzen und meinen Kurs zu korrigieren. Ein bisschen Angst habe ich schon, aber ich denke, ich werde es schaffen. Ich habe ja geübt.
Schließlich waren wir die einbeinigen Piraten vom Rosensteg.
Auf immer, sagt dein Käptn.
Auf ewig, sagt
Bloom
PS
Ich schicke dir eine Flaschenpost.
Über die Autorin
Charlotte Inden , geboren 1979, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Film- und Fernsehwissenschaften in Marburg, London und Straßburg. Sie lebt mit ihrem Mann in Karlsruhe, arbeitet als Redakteurin bei einer Tageszeitung und hat eine Botschaft an die Welt: Schreibt mehr Briefe!
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