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Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)

Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Annabel (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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realistisch genug aussah.
    Rawls Laden gehörte zu letzterer Kategorie. Ein niedriger Kellerraum, aus Gott weiß für einem Grund schwarz gestrichen, mit einem durchgesessenen Ledersofa, einem kleinen Fernseher, einem Holzstuhl mit gerader Lehne und einem Heizlüfter – und das war es auch schon, abgesehen von dem Geruch nach Blut, ein paar Eimern und einem Bereich, der mit einem Vorhang abgetrennt war, wo der eigentliche Eingriff stattfand.
    Ich weiß noch, dass ich mich beinahe übergeben musste, als ich eintrat, so nervös war ich. Ein paar Jugendliche warteten vor mir. Auf dem Sofa war kein Platz, deshalb musste ich stehen. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, die Wände würden näher rücken; ich hatte Angst, sie könnten jeden Moment einstürzen und uns unter sich begraben.
    Ich war schon vor fast einem Monat von zu Hause weggelaufen und hatte in dieser Zeit Geld für eine falsche Narbe zusammengekratzt und gespart.
    Damals war das Reisen noch einfacher gewesen; ein Jahrzehnt, nachdem das Heilmittel perfektioniert worden war, wuchsen die Mauern erst noch und die Kontrollen waren nicht so streng. Trotzdem war ich nie weiter als dreißig Kilometer von zu Hause weg gewesen. Ich hatte praktisch die gesamte Busfahrt nach Boston damit verbracht, mir die Nase am Fenster plattzudrücken und mir die trostlose Silhouette aus kahlen Winterbäumen, kältestarren Landschaften und neuen und im Bau befindlichen Wachtürmen anzusehen. Oder auf dem Klo, wo ich den scharfen Gestank nach Urin zu ignorieren versuchte, gegen die Übelkeit anzukämpfen, weil ich so aufgeregt war.
    Während ich in Rawls Laden wartete, bis ich an der Reihe war, sah ich den letzten kommerziellen Flug im Fernsehen. Die Kamerateams, die dicht gedrängt auf dem Rollfeld standen, das Dröhnen des Flugzeugs auf der Startbahn und dann das Abheben: ein unglaubliches Abheben wie das eines Vogels. So schön und mühelos, dass es einem die Tränen in die Augen trieb. Ich war noch nie geflogen und würde es jetzt auch nie mehr können. Die Landebahnen würden abgebaut und die Flughäfen geschlossen. Es gab zu wenig Treibstoff und das Risiko einer Ansteckung war zu groß.
    Ich weiß noch, dass mir das Herz bis in den Hals klopfte und ich den Blick nicht vom Fernseher abwenden konnte, vom Bild des Flugzeugs, das sich verwandelte, kleiner wurde, bis es aussah wie ein kleiner schwarzer Vogel vor den Wolken.
    Dann kamen sie: Soldaten, junge Rekruten, direkt aus dem Ausbildungslager. In steifen neuen Uniformen und Stiefeln, die glänzten wie Öl. Die Leute versuchten zum Hinterausgang zu rennen und alle schrien. Die Vorhänge wurden heruntergerissen; ich sah einen wackligen Klapptisch, der mit einem Laken abgedeckt war, und darauf ein Mädchen, das aus dem Hals blutete. Rawls musste gerade mitten in ihrem Eingriff gewesen sein.
    Ich wollte ihr helfen, aber es war keine Zeit.
    Die Hintertür wurde aufgerissen und ich schaffte es raus auf eine vereiste Gasse, in der dreckiger Schnee und Müll aufgetürmt lagen. Ich stürzte, schnitt mir die Hand am Eis auf, rannte weiter. Ich wusste, wenn ich geschnappt würde, wäre es das Ende – ich würde zu meinen Eltern zurückgezerrt, in die Labors geworfen und bekäme wahrscheinlich null Punkte.
    Es war das erste Jahr des neu eingeführten, landesweit einheitlichen Einstufungssystems. Man fing an, die Partner zuzuteilen. Überall wurden Kontrollbehörden eingerichtet und kleine Kinder sprachen davon, dass sie Gutachter werden wollten, wenn sie groß waren.
    Und keiner würde das Mädchen mit dem Aktenvermerk wählen.
    Ich sah ihn an der Ecke Linden Street und Adams Street. Stieß genau genommen mit ihm zusammen – sah, wie er mit erhobenen Händen vor mir stehen blieb und »Moment!« rief. Ich versuchte ihm auszuweichen, verlor das Gleichgewicht, stolperte ihm direkt in die Arme. Ich war ihm so nah, dass ich die Schneeflocken in seinen Wimpern sah, die feuchte Wolle seines Mantels und den intensiven Duft seines Rasierwassers roch, sah, wo er eine Stoppel am Kinn übersehen hatte. So nah, dass die Eingriffsnarbe an seinem Hals aussah wie ein winziger weißer Sternenregen.
    Ich war einem Jungen noch nie so nah gewesen.
    Die Soldaten hinter mir riefen immer noch – »Stopp!« und »Halten Sie sie!« und »Lassen Sie sie nicht entkommen!« Ich werde nie den Blick vergessen, mit dem er mich ansah – neugierig, beinahe amüsiert, als wäre ich ein seltenes Tier im Zoo.
    Dann ließ er mich los.

jetzt
    Der Dolchanhänger ist

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