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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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hätte, so wie sie ihn im Gedächtnis trug. Keine zweite Liebe, in ihrem Alter das einzige wahrhaft natürliche, wirksame und ausreichende Heilmittel, war für sie denkbar gewesen in ihrem engen gesellschaftlichen Rahmen, dafür war sie zu wählerisch, zu anspruchsvoll in ihrem Geschmack. Mit zweiundzwanzig hatte sie einen Antrag von dem jungen Mann bekommen, der nicht viel später ein geneigteres Ohr bei ihrer jüngeren Schwester fand; und Lady Russell hatte Annes Weigerung sehr beklagt, denn Charles Musgrove war der älteste Sohn eines Mannes, dessen Ländereien und allgemeine Bedeutung in der Gegend nur von denen Sir Walters übertroffen wurden, und von angenehmem Wesen und Äußeren; und so ungenügend dies Lady Russell womöglich erschienen wäre, als Anne neunzehn gewesen war, so froh hätte es sie nun gemacht, die Zweiundzwanzigjährige auf solch respektable Weise von den Parteilichkeiten und Ungerechtigkeiten ihres Vaterhauses befreit und so dauerhaft in ihrer, Lady Russells, Nähe angesiedelt zu wissen. Aber diesmal hatte sich Anne taub für alle Ratschläge gezeigt; und obgleich Lady Russell, sich ihres eigenen Urteils so sicher wie nur je, das Vergangene zu keiner Zeit ungeschehen wünschte, fragte sie sich nun mit einer Furcht, die zuweilen an Hoffnungslosigkeit grenzte, ob sich wohl niemals ein kluger und gutsituierter Mann finden würde, der Anne dazu bewegen konnte, in jenen Stand zu treten, für den sie ihr mit ihrer Herzenswärme und ihren häuslichen Neigungen so besonders geeignet schien.
    Keine kannte die Haltung der anderen in dem Punkt, der damals den Ausschlag für Annes Entscheidung gegeben hatte – ob sie gleich geblieben war oder gewandelt, denn an dasThema wurde nie gerührt – doch Anne sah die Sache nun, mit siebenundzwanzig, sehr anders, als es ihr mit neunzehn eingeredet worden war. – Sie machte Lady Russell keinen Vorwurf, sie machte auch sich keinen Vorwurf, daß sie sich von ihr hatte leiten lassen; aber bei sich dachte sie, sollte je ein junges Mädchen in einem ähnlichen Fall Rat bei ihr suchen, so erhielte es von ihr gewißlich keinen, der ihm ein so unsicheres künftiges Wohl um den Preis eines so sicheren sofortigen Wehes eintrug. – Auch unter der vollen Last elterlicher Mißbilligung, davon war sie überzeugt, auch unter der Last sämtlicher Unwägbarkeiten, die sein Beruf mit sich brachte, aller nur erdenklichen Ängste, Wartezeiten und Enttäuschungen, hätte das Festhalten an der Verlobung doch eine glücklichere Frau aus ihr gemacht, als es der Verzicht getan hatte; selbst dann, so glaubte sie, wenn ihnen das übliche oder mehr als das übliche Maß an Kümmernissen und Ungewißheit beschieden gewesen wäre – ganz zu schweigen vom tatsächlichen Ausgang ihrer Sache, der ihnen nämlich sehr viel schnelleren Wohlstand beschert hätte als vernünftigerweise zu erwarten. All seine Zuversicht, all seine kühnen Hoffnungen waren berechtigt gewesen. Sein Talent und Elan schienen sein Glück vorausgesehen und herbeigeführt zu haben. Er hatte schon bald nach dem Ende ihrer Verlobung ein Kommando bekommen; und alles, was er ihr vorhergesagt hatte, war genau so eingetreten. Er hatte sich ausgezeichnet und rasch die nächste Rangstufe erklommen und mußte mittlerweile dank einer Reihe von Prisen ein stattliches Vermögen beisammen haben. Sie hatte nur das Marineregister und Zeitungsberichte zur Gewähr, aber es konnte weder einen Zweifel an seinem Reichtum geben noch, dies immerhin ein Indiz für seine Beständigkeit, einen Grund zu der Annahme, daß er verheiratet war.
    Wie beredt hätte Anne Elliot sein können – wie beredt zumindest verteidigte sie im stillen eine frühe warme Zuneigung und einen frohgemuten Zukunftsglauben gegen jeneüberängstliche Vorsicht, die allem Ehrgeiz hohnspricht und der Vorsehung mißtraut! – Sie war zum Vernünftigsein gezwungen worden, als sie jung war, sie lernte das Romantischsein, als sie älter wurde – die natürliche Folge eines unnatürlichen Auftakts.
    Angesichts solcher Umstände, Erinnerungen und Gefühle riß die Nachricht, daß Captain Wentworths Schwester in Kellynch einziehen könnte, zwangsläufig alte Wunden auf; und mancher Spaziergang und mancher Seufzer waren vonnöten, um ihr aufgewühltes Inneres zu beruhigen. Immer wieder mußte sie sich töricht schelten, bis sie ihre Nerven endlich soweit gestählt hatte, daß ihr die fortwährenden Gespräche über die Crofts und ihre Angelegenheiten keine Qual mehr waren.

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