Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
bei all ihren Vorzügen keiner auch nur leidlich hübsch nennen kann! Glaube mir, von der armen Mrs. Clay geht keine Gefahraus. Man sollte meinen, du hättest meinen Vater nie über ihre körperlichen Mängel sprechen hören, dabei warst du doch mindestens fünfzigmal dabei. Dieser Zahn! und diese Sommersprossen! Sommersprossen stoßen mich ja nicht ganz so ab wie ihn, ich habe durchaus Gesichter gesehen, die von ein paar vereinzelten nicht wesentlich entstellt waren, aber ihm sind sie widerwärtig. Du mußt ihn über Mrs. Clays Sommersprossen reden gehört haben.«
»Es gibt kaum ein körperliches Manko«, erwiderte Anne, »über das ein einnehmendes Wesen nicht mit der Zeit hinwegtrösten könnte.«
»Das sehe ich völlig anders«, beschied Elizabeth sie schroff, »ein einnehmendes Wesen kann ein hübsches Gesicht unterstreichen, aber ein häßliches schön machen kann es nicht. Wie auch immer, da ich in dieser Sache weitaus am meisten zu verlieren habe, halte ich Ratschläge von dir an mich für höchst überflüssig.«
Anne hatte es hinter sich und war froh darum – und nicht gänzlich ohne Hoffnung, daß es nutzte. Auch wenn Elizabeth sich gegen den Verdacht wehrte, vielleicht schärfte er doch ihren Blick.
Der letzte Dienst der vier Kutschpferde bestand darin, Sir Walter, Miss Elliot und Mrs. Clay nach Bath zu ziehen. Die Gesellschaft fuhr in bester Stimmung ab, Sir Walter unter Bereithaltung huldvoller Verneigungen für all die untröstlichen Pächter und Kätner, die wohl einen Wink erhalten hatten, sich am Wegrand zu zeigen; Anne indessen ging in mutloser Gelassenheit nach Kellynch Lodge hinüber, wo sie die erste Woche verbringen sollte.
Ihre Freundin war nicht weniger bedrückt als sie. Lady Russell nahm sich diese Zersplitterung der Familie sehr zu Herzen. Das Elliotsche Ansehen war ihr so wichtig wie ihr eigenes, und der tägliche Umgang war ihr zur lieben Gewohnheit geworden. Es tat weh, auf das verlassene Anwesen hinauszuschauen, und weher noch, sich die Hände vorzustellen,in die es bald übergehen mußte; und um der Einsamkeit und Schwermut des so verwandelten Dorfes zu entrinnen und nicht dabei zu sein, wenn der Admiral und Mrs. Croft eintrafen, hatte sie ihre Abreise auf den Tag gelegt, an dem Anne sie verließ. Also traten sie den Weg gemeinsam an, und Anne wurde vor Uppercross Cottage abgesetzt, als erstes Ziel von Lady Russells Fahrt.
Uppercross war ein Dorf mittlerer Größe, das noch wenige Jahre zuvor vollständig im alten englischen Stil gehalten gewesen war, mit nur zwei Häusern, die mehr darstellten als die der Bauern und Tagelöhner: dem Herrenhaus mit seinen hohen Mauern, mächtigen Toren und alten Bäumen, wuchtig und unmodern – und dem kompakten, von einem schmucken Gärtchen eingefaßten Pfarrhaus mit seinem dichten Bewuchs von wildem Wein und Spalierbirnen; seither hatte es jedoch eine Aufbesserung erfahren, als nämlich dem jungen Squire anläßlich seiner Vermählung eines der Bauernhäuser ausgebaut worden war; und Uppercross Cottage mit seiner Veranda, seinen Glastüren und anderen Verspieltheiten war ein beinahe ebensolcher Blickfang wie die einheitlicheren, herrschaftlicheren Gutsgebäude eine Viertelmeile entfernt.
Hier war Anne schon viele Male zu Gast gewesen. Sie kannte die Gebräuche von Uppercross so gut wie die von Kellynch. Die beiden Familien Musgrove pflegten so enge Nachbarschaft und gingen zu jeder Tageszeit so frei beieinander aus und ein, daß sie fast erstaunt war, Mary allein anzutreffen; da sie aber allein war, mußte sie beinahe zwingend leidend und gereizt sein. Obschon besser veranlagt als ihre älteste Schwester, besaß Mary weder Annes Verstand noch ihre Ausgeglichenheit. Solange sie sich munter, wohlauf und gebührend hofiert fühlte, hatte sie Humor und gute Laune im Überfluß; aber schon die kleinste Unpäßlichkeit warf sie völlig aus der Bahn, ihr fehlte jede Gabe zum Alleinsein, und eine gehörige Portion Elliotscher Geltungssuchtsorgte nicht selten dafür, daß sie sich zusätzlich zu allem übrigen Elend auch noch vernachlässigt und zu kurz gekommen wähnte. Im Aussehen konnte sie mit keiner ihrer Schwestern mithalten und hatte selbst als junges Mädchen nur das Prädikat »frisch« errungen. Jetzt lag sie auf dem verschossenen Sofa in dem hübschen kleinen Salon, dessen ursprünglich elegantes Mobiliar unübersehbare Spuren von vier Sommern und zwei Kindern trug, und begrüßte Anne mit einem:
»Da bist du ja endlich! Ich dachte
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