Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
graute, und so sehr ihr die sanfte Wehmut der Herbstmonate auf dem Land fehlen würde, verspürte, wenn sie ehrlich war, keine große Lust zu bleiben. Das Richtigste und Klügste, und darum auch das am wenigsten Schmerzliche, würde es sein, mit den anderen zu gehen.
Dann geschah es jedoch, daß eine andere Pflicht sie rief. Mary, die gern ein wenig kränkelte, und gern viel Wesens darum machte, und gern beim geringsten Anlaß nach Anne verlangte, fühlte sich unpäßlich; und da sie schon jetzt wußte, daß sie den ganzen Herbst keinen Tag lang beschwerdefrei sein würde, bat sie Anne, oder vielmehr beorderte sie Anne, denn ein Bitten konnte es kaum genannt werden, zu ihr nach Uppercross zu kommen statt nach Bath,um sie zur Gesellschaft zu haben, solange sie sie benötigte.
»Ich komme auf gar keinen Fall ohne Anne aus«, lautete ihre Begründung, und Elizabeths Antwort war: »Dann ist es auf jeden Fall besser, sie bleibt, denn in Bath braucht sie niemand.«
Als nützlich angefordert zu werden, und sei es in noch so rüdem Stil, ist angenehmer, als für völlig unnütz zu gelten; und Anne, froh darüber, daß irgend jemand Verwendung für sie hatte, froh über eine Aufgabe gleich welcher Art und keineswegs traurig, dafür auf dem Land bleiben zu müssen, zumal in ihrer geliebten Heimatgegend, willigte, ohne zu zögern, ein.
Diese Einladung Marys löste Lady Russells sämtliche Probleme, und bald war es ausgemachte Sache, daß Anne erst zusammen mit Lady Russell nach Bath nachkommen sollte; die Zeit bis dahin würde sie zwischen Uppercross Cottage und Kellynch Lodge aufteilen.
Soweit schien alles recht und schön; doch Lady Russell war regelrecht schockiert über das Unrecht, das in einem anderen Teil des Kellynch-Hall-Plans zutage trat: als ihr nämlich aufging, daß Mrs. Clay dazu auserkoren war, Sir Walter und Elizabeth nach Bath zu begleiten, als wichtige und wertvolle Stütze letzterer bei allen vor ihr liegenden Aufgaben. Lady Russell mißbilligte es zutiefst, daß ein solcher Schritt überhaupt erwogen wurde – grübelte, grämte sich, bangte –, und der darin enthaltene Affront gegen Anne, die zu nichts nutze sein sollte, während Mrs. Clay so ungemein nützlich war, erbitterte sie noch zusätzlich.
Anne selbst war gegen derlei Affronts längst abgehärtet; aber die Unklugheit dieses Arrangements nahm sie ähnlich schwer wie Lady Russell. Viele Stunden des schweigenden Beobachtens und eine Vertrautheit mit dem Charakter ihres Vaters, die weiter reichte, als ihr oft lieb war, ließen sie befürchten, daß ein so enges Beisammensein sehr leicht Folgenzeitigen konnte, die für die Familie mehr als einschneidend wären. Daß die Gedanken ihres Vaters schon jetzt in eine solche Richtung gingen, unterstellte sie nicht. Mrs. Clay hatte Sommersprossen, einer ihrer Zähne stand vor, und über die Plumpheit ihrer Handgelenke hatte er hinter ihrem Rücken schon manche rügende Bemerkung fallenlassen; aber sie war jung und sah insgesamt doch passabel aus, und ihre Aufgewecktheit und unverdrossene Beflissenheit verliehen ihr eine Anziehung, die unendlich viel gefährlicher sein konnte als jeder äußere Reiz. So hoch veranschlagte Anne die Bedrohung, daß nichts half: sie mußte versuchen, ihrer Schwester die Gefahr bewußt zu machen. Viel Hoffnung hatte sie nicht; doch Elizabeth, die im Falle eines solchen Schicksalsschlags so viel stärker zu bemitleiden wäre als sie selbst, sollte ihr nie vorwerfen können, sie hätte sie nicht gewarnt.
Sie sprach – und erregte nichts als Anstoß. Elizabeth fand es unbegreiflich, wie sie einen derart absurden Verdacht äußern konnte, und erklärte empört, alle Beteiligten wüßten genauestens, wo ihr Platz war.
»Mrs. Clay«, sagte sie heftig, »vergißt keine Sekunde lang, wer sie ist; und da ich ihre Gesinnung ja wohl etwas besser kenne als du, kann ich dir versichern, daß ihre Ansichten in puncto Ehe ganz besonders streng sind und daß sie jegliche Ungleichheit in Stand und Rang so vehement ablehnt wie kaum jemand. Und was meinen Vater angeht, so ist er so lange um unseretwillen allein geblieben, daß ich nicht weiß, wodurch er jetzt solchen Argwohn verdient hat. Wenn nun Mrs. Clay eine große Schönheit wäre, sicher, dann wäre es vielleicht falsch von mir, sie so viel um mich zu haben – nicht daß irgend etwas auf der Welt meinen Vater zu einer Mesalliance verleiten könnte, bestimmt nicht, aber es könnte ihn unglücklich machen. Aber die arme Mrs. Clay, die
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