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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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seine Blicke dabei Verständnis zu heischen, daß sie die Hoffnung zu äußern wagte, er lese nicht ausschließlich Gedichte, und zudem erklärte, sie halte es für die Crux aller Lyrik, daß sie so selten gefahrlos von denen genossen werde, die sie in vollen Zügen genossen, und daß die sensiblen Gemüter, die sie als einzige wahrhaft zu würdigen wußten, genau die Gemüter seien, die besser nur sparsam davon kosten sollten.
    Da ihm diese Anspielung auf seine Lage sichtlich nicht unangenehm, sondern vielmehr willkommen war, fühlte sie sich zum Fortfahren ermutigt; und da sie überdies das Vorrecht eines gereifteren Verstandes auf ihrer Seite wußte, war sie so kühn, ihm eine größere Dosis Prosa zur täglichen Lektüre zu empfehlen, und nannte ihm auf sein Nachfragen jene Werke unserer besten Moralisten, jene Sammlungen beispielhafter Briefe, jene Memoiren nobler Leidender, die ihr derzeitig am besten dazu angetan schienen, den Geist durch die höchsten Prinzipien und eindrucksvollsten Beispiele ethischen und religiösen Standvermögens zu erbauen und zu stärken.
    Captain Benwick lauschte aufmerksam und wirkte dankbar für so viel Interesse; und auch wenn sein Kopfschütteln und seine Seufzer deutlich machten, wie wenig Vertrauen er in die Heilkraft irgendwelcher Bücher bei einem Gram wie dem seinen setzte, notierte er sich brav die Titel, die sie aufführte, und versprach, sie sich zu beschaffen und zu lesen.
    Als der Abend um war, machte es Anne doch schmunzeln, daß sie nach Lyme gekommen sein sollte, um einem wildfremden jungen Mann Geduld und Ergebung zu predigen; und bei näherem Nachdenken konnte sie sich des Verdachts nicht erwehren, daß sie wie so viele andere große Moralisten und Prediger Beredsamkeit in einer Sache bewiesen hatte, bei der ihr eigenes Verhalten einer näheren Überprüfung schlecht standhalten würde.

KAPITEL XII
    Anne und Henrietta waren am nächsten Morgen die ersten, und so beschlossen sie, vor dem Frühstück hinunter zum Meer zu gehen. – Sie schlenderten über den Sandstrand und sahen den Wellen zu, die ein kräftiger Südostwind mit all der Majestät heranrollen ließ, die eine so flache Küste gestattete. Sie priesen den Morgen, erfreuten sich an der See, waren sich einig über die köstliche Frische der Luft – und schwiegen; bis Henrietta unvermittelt wieder anhob:
    »Nein wirklich – es ist meine feste Überzeugung, daß von ein paar wenigen Ausnahmen abgesehen die Seeluft immer guttut. Bei Dr. Shirley jedenfalls hat sie zweifellos Wunder gewirkt nach seiner Krankheit letztes Jahr im Frühling. Er sagt selbst, daß ihm der eine Monat in Lyme zuträglicher war als sämtliche Arzneien, die er einnehmen mußte; sobald er ans Meer kommt, sagt er, fühlt er sich wieder jung. Und ich kann mir nicht helfen, ich finde es eine Schande, daß er unter diesen Umständen nicht am Meer wohnt. Er sollte ganz aus Uppercross wegziehen, finde ich, und sich in Lyme niederlassen. Meinst du nicht auch, Anne? – Stimmst du mir nicht zu, daß es das Beste ist, was er tun kann, nicht nur für sich, sondern auch für Mrs. Shirley? Sie hat Verwandtschaft hier, weißt du, und viele Bekannte, so daß sie es sehr vergnüglich hätte – abgesehen davon, daß sie sicherlich sehr froh wäre, an einem Ort zu wohnen, wo sie medizinische Versorgung in Reichweite wüßte, falls er wieder einen Anfall bekommt. Wirklich, es stimmt mich ganz traurig zu denken, daß so wunderbare Menschen wie Dr. und Mrs. Shirley, die ihrLeben lang anderen Gutes getan haben, ihre letzten Tage an einem Ort wie Uppercross fristen müssen, wo sie, mit Ausnahme unserer Familie vielleicht, von aller Welt abgeschnitten sind. Ich finde, seine Freunde sollten es ihm nahelegen. Eigentlich ist es geradezu ihre Pflicht. Und bei seinem Alter und mit seiner Reputation dürfte es ihm ein leichtes sein, einen Dispens zu erhalten. Mein einziger Zweifel ist, ob ihn irgend etwas dazu bringen kann, seine Gemeinde im Stich zu lassen. Er ist so ungeheuer streng und gewissenhaft in seinen Anschauungen; übergewissenhaft, muß ich fast sagen. Stimmst du mir nicht zu, Anne, daß er übergewissenhaft ist? Findest du es nicht auch ein irregeleitetes Pflichtbewußtsein, wenn ein Geistlicher seine Gesundheit für Aufgaben opfert, die ebensogut ein anderer ausführen könnte? – Wo er doch in Lyme noch dazu so nahe wäre – nur siebzehn Meilen entfernt –, daß er es ganz leicht erfahren könnte, wenn die Leute sich über etwas zu beklagen

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