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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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Captain Harvilles Schwester verlobt gewesen, und nun trauerte er um sie. Sie hatten ein Jahr oder zwei auf Vermögen und Beförderung gewartet. Das Vermögen kam, denn als Offizier kassierte er reichlich Prisengeld – auch die Beförderung kam, endlich; aber Fanny Harville erlebte es nicht mehr. Sie starb im Sommer, während er noch auf See war. Kein Mann, so versicherte ihnen Captain Wentworth, konnte einer Frau inniger zugetan sein als der arme Benwick Fanny Harville, keiner tiefer getroffen von dem furchtbaren Verlust. Er hielt ihn für so veranlagt, daß er stärker litt als andere, denn zu einem leidenschaftlichen Fühlen kamen bei ihm ein stilles, ernsthaftes, zurückhaltendes Wesen sowie eine ausgeprägte Liebe zum Lesen und anderen sitzenden Betätigungen mehr. Um seine Geschichte noch anrührender zu machen, hatte dieses Ereignis, das jede Hoffnung auf eine Verbindung zwischen ihnen vereitelte, ihn und die Harvilles nur enger zusammengeschweißt, und Captain Benwick lebte nun ganz bei ihnen. Captain Harville hatte das Haus auf ein halbes Jahr gemietet, da sein Geschmack, seine Gesundheit und sein Geldbeutel alle gleichermaßen nach einem Domizil verlangten, das preiswert war und am Meer, und die eindrucksvolle Landschaft und winterliche Verlassenheit Lymes entsprachen Captain Benwicks Gemütsverfassung genau. Das Mitgefühl und Wohlwollen, das man Captain Benwick entgegenbrachte, war demnach enorm.
    »Und doch«, sagte sich Anne, als sie nun auf die Gruppe zugingen, »trägt er vielleicht keinen größeren Kummer im Herzen als ich. Ich kann nicht glauben, daß seine Hoffnungen so dauerhaft zunichte gemacht sind. Er ist jünger als ich; jünger im Empfinden, wenn nicht überhaupt; jünger, weil er ein Mann ist. Er wird neue Kräfte sammeln und mit einer anderen glücklich werden.«
    Sie trafen zusammen und wurden sich vorgestellt. Captain Harville war hochgewachsen und dunkel, mit einem klugen, gütigen Gesicht; ein leichtes Hinken, kantige Züge sowie eine schlechte Gesundheit ließen ihn deutlich älter erscheinen als Captain Wentworth. Captain Benwick war der jüngste der drei und sah auch so aus, und gegen die anderen beiden wirkte er schmächtig. Er hatte ein einnehmendes Gesicht und exakt die Aura von Schwermut, die man bei einem wie ihm erwarten konnte, und blieb die meiste Zeit über stumm.
    Captain Harville verfügte vielleicht nicht ganz über Captain Wentworths Auftreten, aber er war ein vollendeter Gentleman, ungezwungen, herzlich und zuvorkommend. Mrs. Harville, wiewohl eine Spur weniger gewandt als ihr Mann, strahlte genau die gleiche Freundlichkeit aus, und nichts konnte anheimelnder sein als die Natürlichkeit, mit der die beiden Captain Wentworths Freunde als die ihren begrüßten und sie nötigten, doch unbedingt alle bei ihnen zu essen. Das bereits im Wirtshaus bestellte Mahl wurde schließlich, wenngleich widerstrebend, als Hinderungsgrund anerkannt; aber sie schienen geradezu verletzt, daß Captain Wentworth in solcher Gesellschaft nach Lyme kam und sie nicht selbstverständlich zu ihnen zum Essen mitbrachte.
    All dies offenbarte soviel Zuneigung zu Captain Wentworth, ein so bestrickendes Maß an Gastfreundschaft jenseits der gängigen Muster von Einladung und Gegeneinladung, von Förmlichkeit und Pomp, daß Anne zu fürchten begann, die nähere Bekanntschaft mit seinen Offizierskollegen könnteihr auf die Stimmung schlagen. »Das alles hätten meine Freunde sein können«, dachte sie; und sie mußte gegen eine große Bedrücktheit ankämpfen.
    Sie stiegen vom Cobb herunter und folgten ihren neuen Freunden in ein Haus von solcher Enge, daß niemand, der nicht von Herzen einlud, auf die Idee kommen konnte, so viele darin beherbergen zu wollen. Selbst Anne verspürte ein kurzes Befremden, das sich aber rasch in erfreulicheren Empfindungen verlor, als sie all die kleinen Kunstgriffe sah, all die sinnreichen Vorrichtungen, die sich Captain Harville hatte einfallen lassen, um den vorhandenen Platz möglichst gut auszunutzen, die Lücken in der Möblierung zu ergänzen und die Türen und Fenster gegen die bevorstehenden Winterstürme zu rüsten. Das bunte Allerlei in den Zimmern – wo aus der üblichen Grundausstattung, vom Hauswirt auf die übliche freudlose Art bereitgestellt, einzelne Stücke herausstachen, ausgezeichnet verarbeitete seltene Hölzer und dazu die eine oder andere kostbare Kuriosität aus den vielen fernen Ländern, die der Captain bereist hatte – mutete Anne mehr als nur

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