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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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halb so lang wirken wie tags zuvor. Dennoch dämmerte es schon sehr, ehe sie die Gegend um Uppercross erreichten, und sie waren eine ganze Weile in vollständigem Schweigen dahingefahren – Henrietta in ihre Ecke gelehnt, ihr Tuch über dem Gesicht, so daß zu hoffen stand, daß sie sich in den Schlaf geweint hatte –, als sich auf dem Weg den letzten Hügel hinauf Captain Wentworth unvermittelt an Anne wandte. Mit leiser, vorsichtiger Stimme sagte er:
    »Ich habe überlegt, wie wir es am besten machen. Sie darf nicht gleich mit hinein. Sie würde es nicht durchstehen. Ich dachte, vielleicht könnten Sie bei ihr im Wagen bleiben, während ich vorgehe und Mr. und Mrs. Musgrove die Nachricht überbringe. Halten Sie das für einen brauchbaren Plan?«
    Das tat sie; er war es zufrieden und sagte nichts mehr. Aber an den Moment zurückdenken zu können war ihr eine Wohltat – als Beweis der Freundschaft und der Achtung vor ihrem Urteil sogar eine große Wohltat; und daß er gleichzeitig zu einer Art Scheidegruß wurde, schmälerte seinen Wert für sie nicht.
    Als die aufwühlende Kunde in Uppercross überbracht war, als er die Eltern in einem hinreichend gefaßten Zustand wußte und die Tochter leidlich getröstet durch die Nähe zu ihnen, verkündete er seine Absicht, mit demselben Wagen nach Lyme zurückzukehren; und sobald die Pferde gefüttert und getränkt waren, brach er auf.

BAND ZWEI
    KAPITEL I
    Annes verbleibende Zeit in Uppercross – zwei Tage nur noch – verbrachte sie ganz im Gutshaus: befriedigende Tage insofern, als sie sich hochgradig nützlich wußte, durch ihre bloße Gegenwart wie auch durch ihre Hilfe bei all jenen Vorkehrungen für die Zukunft, zu denen Mr. und Mrs. Musgrove in ihrer angeschlagenen Gemütsverfassung nicht imstande gewesen wären.
    Gleich am nächsten Morgen erhielten sie Meldung aus Lyme. Louisa ging es unverändert. Keine neuen Symptome wiesen auf eine Verschlechterung hin. Wenige Stunden darauf traf Charles mit einem späteren, ausführlicheren Bericht ein. Er war einigermaßen guter Dinge. Eine rasche Genesung stand nicht zu hoffen, aber alles schritt so gut voran, wie die Natur des Falls es erlaubte. Dann fing er von den Harvilles an, und er schien ihre Freundlichkeit gar nicht genug rühmen zu können, und erst recht nicht Mrs. Harvilles Tüchtigkeit am Krankenbett. Für Mary bleibe wirklich nicht das geringste zu tun. Gestern abend seien sie beide dazu überredet worden, frühzeitig in ihr Gasthaus zurückzukehren. Heute morgen dann habe Mary noch einmal einen hysterischen Ausbruch gehabt. Bei seiner Abfahrt habe sie sich aber zu einem Spaziergang mit Captain Benwick aufgemacht, was ihr hoffentlich guttun würde. Fast wünsche er ja, sie hätte eingewilligt, gleich mit den anderen nach Hause zu fahren – aber Mrs. Harville lasse wahrhaftig für niemanden etwas zu tun übrig.
    Charles wollte noch am Nachmittag wieder nach Lymezurückkehren, und sein Vater fühlte sich versucht, mit ihm zu kommen, doch dem mochten die Damen nicht zustimmen. Es würde die anderen nur zusätzlich inkommodieren und ihn selbst noch mehr aufregen; und ein viel besserer Plan wurde erdacht und in die Tat umgesetzt. Man ließ eine Kalesche 10 aus Crewkherne kommen, und Charles beförderte eine weit nützlichere Person darin, nämlich die alte Kinderfrau der Musgroves, die sämtliche Kinder großgezogen hatte, bis als letzter auch der langgehätschelte Nachzügler Master Harry seinen Brüdern aufs Internat nachgefolgt war, und die nun in ihrem verlassenen Kinderzimmer saß, Strümpfe stopfte und jegliche Beulen und blauen Flecken verarztete, derer sie habhaft werden konnte, weshalb sie überglücklich war, jetzt bei der Pflege ihrer lieben Miss Louisa helfen zu dürfen. Eine vage Hoffnung, Sarah zu ihr zu schaffen, hatte Mrs. Musgrove und Henrietta schon vorher bewegt, doch ohne Anne wäre daraus wohl kaum so zügig ein praktikabler Entschluß geworden.
    Am Tag darauf war es Charles Hayter, der ihnen die Einzelheiten von Louisas Zustand übermittelte, auf die sie alle vierundzwanzig Stunden so dringlich warteten. Er nahm es auf sich, nach Lyme zu fahren, und auch diesmal war die Kunde ermutigend. Die Intervalle der Wachheit und des Bewußtseins schienen sich zu verstärken. Alles deutete überdies darauf hin, daß Captain Wentworth bis auf weiteres in Lyme zu bleiben gedachte.
    Anne sollte sie am nächsten Tag verlassen, eine Aussicht, vor der allen graute. Was sollten sie nur anfangen ohne Anne? Sie

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