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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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rief Charles, »was machen wir nun? Was um Himmels willen machen wir nun?«
    Captain Wentworths Blick war auch auf sie gerichtet.
    »Sollte sie nicht lieber ins Gasthaus gebracht werden? Doch, unbedingt, tragt sie vorsichtig ins Gasthaus.«
    »Ja, ja, ins Gasthaus«, wiederholte Captain Wentworth, halbwegs gefaßt jetzt und begierig danach, etwas tun zu können. »Ich trage sie selber. Musgrove, Sie kümmern sich um die anderen.«
    Unterdessen hatte sich die Nachricht von dem Unfall unter den Arbeitern und Bootsleuten am Hafen verbreitet, und nicht wenige waren in ihrer Nähe versammelt, um mit Hand anzulegen, falls gewünscht, oder sich zumindest am Anblick einer toten jungen Dame zu ergötzen, nein, zweier toter junger Damen, denn es war ja doppelt soviel geboten,wie anfangs vermeldet. Den am verläßlichsten wirkenden unter diesen braven Leuten wurde Henrietta anvertraut, die inzwischen zwar wieder bei Sinnen, aber doch weitgehend hilflos war; und so, mit Anne an Henriettas Seite und Charles an der seiner Frau, machten sie sich auf den Weg, lenkten die Schritte mit den unaussprechlichsten Gefühlen zurück über das Pflaster, über das sie so kürzlich, so unsagbar kürzlich und so leichten Herzens, hergewandert waren.
    Sie hatten das Ende der Mole noch nicht erreicht, als ihnen die Harvilles entgegenkamen. Sie hatten Captain Benwick an ihrem Haus vorbeistürmen sehen, mit einem Gesicht, das Schlimmes verhieß, und waren sofort losgeeilt; alles übrige hatten sie unterwegs erfahren. Bei aller Bestürzung brachte Captain Harville doch gesunden Menschenverstand und Nervenstärke genug mit, um sofort von Nutzen zu sein, und ein Blick zwischen ihm und seiner Frau entschied, wie es weiterzugehen hatte. Sie solle zu ihnen gebracht werden – alle sollten sie zu ihnen kommen – und dort die Ankunft des Arztes abwarten. Bedenken ließ er nicht gelten, und so gehorchten sie; die ganze Gruppe fand sich unter seinem Dach ein; und während Louisa unter der Anleitung von Mrs. Harville nach oben geschafft und in Mrs. Harvilles eigenes Bett gelegt wurde, wartete ihr Gatte mit Beistand, Trost und stärkenden Getränken für alle auf, die sie brauchten.
    Louisa hatte einmal die Augen aufgeschlagen, sie aber ohne jedes Anzeichen von Bewußtsein gleich wieder geschlossen. Als Lebensbeweis immerhin kam es ihrer Schwester zugute; und Henrietta, obschon gänzlich außerstande, sich im selben Raum wie Louisa aufzuhalten, schwankte nun zu sehr zwischen Hoffnung und Angst, um ihrerseits wieder das Bewußtsein zu verlieren. Auch Mary wurde allmählich ruhiger.
    Der Arzt war fast schneller da als für möglich gehalten. Sie waren krank vor Sorge, während die Untersuchung andauerte; doch er schien nicht ohne Hoffnung. Der Kopf habe eine schwere Kontusion empfangen, aber er habe schon Patientengehabt, die sich von schlimmeren Verletzungen erholt hätten; er war durchaus hoffnungsvoll, er sprach lebhaft.
    Daß er den Fall nicht als aussichtslos ansah – daß er nicht sagte, in ein paar Stunden werde alles vorbei sein –, war schon mehr, als die meisten zu hoffen gewagt hatten; und das Glück über einen solchen Aufschub, das tiefe, stumme Frohlocken, nachdem die ersten glühenden Dankgebete zum Himmel emporgesandt worden waren, mag man sich vorstellen.
    Den Ton, den Gesichtsausdruck, mit dem Captain Wentworth »Gott sei Dank!« hervorstieß, meinte Anne niemals vergessen zu können, so wenig wie seinen Anblick eine Weile später, als er an einem Tisch saß und den Kopf auf die verschränkten Arme sinken ließ, so als hätte der Gefühlssturm in seiner Seele ihn übermannt und er versuchte seiner durch Gebet und Besinnung Herr zu werden.
    Louisas Gliedmaßen waren unversehrt geblieben. Verletzt war allein der Kopf.
    Die Reisenden mußten nun entscheiden, wie mit der Situation am besten umzugehen sei. Sie hatten sich soweit wieder im Griff, daß sie miteinander sprechen und sich beraten konnten. Daß Louisa bleiben mußte, wo sie war, daran gab es keinen Zweifel, so unangenehm es ihnen allen auch sein mochte, den Harvilles solche Ungelegenheiten zu bereiten. Sie durfte auf gar keinen Fall bewegt werden. Die Harvilles brachten alle Skrupel und, soweit in ihren Kräften, auch gleich alle Dankesäußerungen zum Schweigen. Sie hatten vorausgeschaut und alles durchdacht, ehe die anderen noch zu überlegen begannen. Captain Benwick würde ihnen sein Zimmer überlassen und sich anderswo ein Bett besorgen, und damit war die Sache abgemacht. Sie

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