Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Wege zu leiten, und die beiden Damen sollten ihm kurz darauf folgen. Als der Plan freilich Mary eröffnet wurde, war es mit dem Frieden gründlich zu Ende. Sie war so kreuzunglücklich, so außer sich, so empört über die Ungerechtigkeit, daß sie das Feld räumen sollte und nicht Anne – Anne, die Louisa nichts war, während sie als ihre Schwägerin doch das meiste Recht hatte, an Henriettas Statt zu bleiben! Wieso sollte sie weniger nützlich sein als Anne? Und auch noch ohne Charles weggeschickt zu werden – ohne ihren Mann! Nein, es war zu herzlos! Kurzum, sie brachte zuviel vor, als daß sich ihr Gatte auf Dauer hätte widersetzen können; und da die anderen schlecht nein sagen konnten, nachdem er ja gesagt hatte, half alles nichts, anstelle von Anne blieb Mary.
Noch nie hatte sich Anne den eifersüchtigen, unklugen Forderungen ihrer Schwester schwereren Herzens gebeugt; aber es mußte sein, und so machten sie sich auf in den Ort, Charles mit Henrietta am Arm, während sich um Anne Captain Benwick kümmerte. Im Dahineilen kamen ihr flüchtig all die kleinen Ereignisse in den Sinn, die sich am Vormittag auf diesem selben Weg abgespielt hatten. Hier hatte sie Henriettas Überlegungen gelauscht, wie Dr. Shirley aus Uppercross fortzubringen sei, ein Stück weiter war ihr erstmals Mr. Elliot begegnet – Sekunden nur, länger konnte sie in Gedanken nicht abschweifen von Louisa und all denen, die an Louisas Wohlergehen Anteil hatten.
Captain Benwick war rührend besorgt um sie; und so, wie die Schrecknisse des Tages sie alle zusammengeschmiedet hatten, empfand sie eine wachsende Sympathie für ihn, ja fast Freude bei der Vorstellung, daß ihre Bekanntschaft sich nun vielleicht fortsetzen würde.
Captain Wentworth hielt schon Ausschau nach ihnen, und ein Vierspänner wartete gleich am untersten Ende der Straßeauf sie; doch sein unverhülltes Erstaunen und Entsetzen, statt der einen Schwester die andere zu sehen – die Veränderung, die in seiner Miene vor sich ging – sein Befremden – die Ausrufe, die er immer wieder unterdrückte, während er Charles’ Erklärungen lauschte – all das bereitete Anne einen recht demütigenden Empfang oder zumindest einen, der nahelegte, daß sie ihm nur insofern etwas galt, als sie von Nutzen für Louisa war.
Sie bemühte sich, Fassung zu bewahren und gerecht zu bleiben. Ohne den Gefühlen einer Emma für ihren Henry 9 nacheifern zu wollen, hätte sie doch Louisa mit einer Hingabe weit über das übliche Maß umsorgt, ihm zuliebe; und sie hoffte nur, daß er ihr nicht lange unterstellen würde, sie könnte Freundespflicht so ohne Not mit Füßen treten.
Mittlerweile saß sie in der Kutsche. Er hatte ihnen beiden hineingeholfen und zwischen ihnen Platz genommen; und so, unter Umständen, die so absonderlich waren und so aufgeladen mit Gefühl, reiste Anne ab aus Lyme. Wie die lange Fahrt verlaufen, wie sie sich auf ihr Verhältnis auswirken, wie ihr Umgang miteinander sein würde – sie wußte es nicht. Es war jedoch alles ganz natürlich. Er widmete sich ausschließlich Henrietta, saß durchgehend zu ihr gewandt, und wenn er etwas sagte, dann Dinge, die dazu angetan waren, sie in ihrem Hoffen zu bestärken und ihre Stimmung aufzuhellen. Insgesamt waren sein Ton, seine ganze Art, sich zu geben, gesucht ruhig. Henrietta jede Aufregung zu ersparen schien sein oberstes Ziel. Nur einmal, als diese den letzten unbedachten, unseligen Gang auf die Mole hinaus beklagte, voll bitterlicher Reue, daß er je begonnen worden war, verlor er die Herrschaft über sich, und es brach aus ihm heraus –
»Oh, reden Sie nicht davon, reden Sie nicht davon!« rief er. »O Gott! hätte ich ihr nur nicht nachgegeben in dem unheilvollen Moment! Hätte ich nur so gehandelt, wie ich sollte! Aber so ungestüm und so entschlossen! Liebe, süße Louisa!«
Anne hätte gern gewußt, ob ein starker Wille ihm nochimmer so fraglos als das höchste aller Güter erschien, als das er ihn einmal gepriesen hatte, oderob er langsam einsah, daß eswie für alle Charakterzüge auch für diesen ein rechtes Maß und eine Grenze gab. Er konnte kaum umhin, dachte sie, zu empfinden, daß eine gewisse Bereitschaft, auf andere zu hören, dem Glück ebenso dienlich sein kann wie große Willensstärke.
Sie kamen schnell voran. Anne war erstaunt, dieselben Hügel, dieselben Dinge nach so kurzer Zeit wiederzuerkennen. Ihr derzeitiges Tempo, scheinbar noch erhöht durch die Angst vor der Ankunft, ließ die Strecke nur
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