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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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anfing und von ihrem Mißfallen darüber, daß Mrs. Clay mit dort wohnte, hätte Anne nur schlechten Gewissens eingestehen mögen, wieviel mehr sie im Geiste in Lyme war, bei Louisa Musgrove und all den anderen dort; wieviel stärker ihre Gedanken um das Häuschen der Harvilles und die Freundschaft der Harvilles zu Captain Benwick kreisten als um das Haus ihres Vaters am Camden Place oder die Vertrautheit ihrer Schwester mit Mrs. Clay. Es kostete sie nachgerade Mühe, ähnlich viel Anteilnahme wie Lady Russell zu zeigen, dabei hätten diese Dinge doch weit dringlicheren Anspruch auf ihr Interesse gehabt.
    Eine anfängliche Steifheit galt es auch bei einem anderen Thema zu überwinden. Sie mußten über den Unfall in Lyme reden. Lady Russell war tags zuvor keine fünf Minuten angekommen gewesen, als sie bereits mit einem detailreichen Bericht über das Ganze beglückt worden war; dennoch mußte die Sache angesprochen werden, sie mußte sich erkundigen, sie mußte die Unbedachtheit rügen, den Ausgang beklagen, und Captain Wentworths Name wollte von ihnen beiden erwähnt sein. Anne war sich bewußt, daß ihr dies weniger gut gelang als ihrer Freundin. Sie konnte den Namen nicht aussprechen und Lady Russell dabei in die Augen sehen, bis sie die rettende Idee hatte, ihr in knappen Worten die Zuneigung anzudeuten, die sie zwischen ihm und Louisa vermutete. Als das heraus war, ging sein Name ihr leicht von den Lippen.
    Lady Russell brauchte nur gelassen zuzuhören und dem Paar das Allerbeste zu wünschen; aber insgeheim schwelgte sie in zorniger Befriedigung, befriedigter Verachtung, daß der Mann, der mit dreiundzwanzig zu begreifen schien, was er an Anne Elliot hatte, jetzt, acht Jahre später, den Reizen einer Louisa Musgrove erlag.
    Die ersten drei oder vier Tage verstrichen friedlich undohne besondere Vorkommnisse, außer daß ein, zwei Billetts aus Lyme in Annes Hände gelangten – wie, wußte sie nicht genau –, denen zufolge Louisa auf dem Wege der Besserung war. Am Ende dieser Zeitspanne allerdings ließen Lady Russells gute Manieren ihr keine Ruhe mehr, und aus den halbherzigen Selbstermahnungen der Vergangenheit wurde ein dezidiertes: »Ich muß Mrs. Croft einen Besuch machen; ich muß sie wirklich sehr bald besuchen. Anne, kannst du es über dich bringen, mich in dieses Haus zu begleiten? Es wird für uns beide eine Prüfung sein.«
    Anne fühlte sich der Prüfung gewachsen; ja sie meinte es ganz aufrichtig, als sie bemerkte:
    »Ich könnte mir vorstellen, daß es Ihnen mehr ausmacht als mir; Ihr Empfinden ist mit der neuen Situation weniger versöhnt als das meine. Dadurch, daß ich in der Gegend geblieben bin, konnte ich mich abhärten.«
    Sie hätte noch mehr zu dem Thema sagen können; denn sie hatte in der Tat eine so hohe Meinung von den Crofts – fand, daß ihr Vater ein solches Glück mit seinen Mietern hatte, wußte das Kirchspiel mit einem so guten Vorbild ausgestattet und die Armen so sicher der besten Fürsorge und Zuwendung, daß sie bei allem Bedauern und aller Beschämung über die Notwendigkeit des Wechsels doch in ihrem Innersten empfand, daß diejenigen fort waren, die es nicht verdient hatten zu bleiben, und daß Kellynch Hall in fähigere Hände übergegangen war als die seiner Besitzer. Eine solche Überzeugung brachte notgedrungen ihren eigenen Schmerz mit sich, und dies nicht zu knapp; doch es schützte sie vor einem Schmerz, wie Lady Russell ihn fühlen mußte, wenn sie nun das Haus betrat und die vertrauten Zimmerfluchten durchschritt.
    Denn sich in einem solchen Moment zu sagen: »Diese Räume sollten uns gehören, und uns allein. Oh, wie schmählich sind sie entweiht! Von welch Unwürdigen bewohnt! Eine alte Familie, so schnöde vertrieben! Durch Fremde verdrängt!« –dazu sah Anne sich außerstande. Nein, wenn sie nicht gerade an ihre Mutter denken mußte, daran, wie sie in diesen Räumen gewirkt und gewaltet hatte, konnte sie keinen derartigen Seufzer erübrigen.
    Mrs. Croft begegnete ihr stets so herzlich, daß Anne sich einbilden konnte, von ihr lieber gemocht zu werden als andere, und nun, als ihre Gastgeberin in deren Haus, war sie noch mehr um sie bemüht.
    Der traurige Unfall in Lyme war bald das beherrschende Thema; und als die Damen ihren Kenntnisstand hinsichtlich der Kranken verglichen, zeigte sich, daß es jeweils der gleiche war, von derselben Stunde des gestrigen Vormittags herrührend, und daß er von Captain Wentworth stammte, der gestern in Kellynch gewesen war

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