Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Erben zurückkehren zu dürfen, belegten seine Gesinnung ja wohl hinlänglich.
Die Umstände seiner Heirat lieferten ebenfalls viel Anlaß zur Nachsicht. An dieses Thema hatte er selbst nicht gerührt; aber ein sehr enger Freund von ihm, ein Colonel Wallis, ein höchst achtbarer Mann mit ausgezeichneten Manieren (und keineswegs schlechtaussehend, fügte Sir Walter hinzu), der in tadellosem Stil in den Marlborough Buildings wohnte und der nicht eher geruht hatte, als bis Mr. Elliot ihn mit ihnen bekannt machte, hatte ein oder zwei Dinge in Bezug auf dessen Ehe erwähnt, die ihre Schändlichkeit doch um ein Beträchtliches abmilderten.
Colonel Wallis kannte Mr. Elliot schon lange, und auch mit seiner Frau war er recht gut bekannt gewesen und begriff die ganze Sache vollkommen. Sie war von niederer Herkunft gewesen, das ja, aber nicht ungebildet oder unkultiviert, dazu reich und über die Maßen verliebt in seinen Freund. Darin hatte der Reiz bestanden. Sie hatte ihn umworben. Ohne diese Lockung hätte all ihr Geld keine Versuchung für Mr. Elliot dargestellt, und Sir Walter bekam überdies versichert, daß sie ein Prachtweib gewesen sei. Das veränderte die Sachlage freilich gewaltig! Ein Prachtweib mit einem großen Vermögen, und obendrein in ihn verliebt! Sir Walter schien es als eine einwandfreie Entschuldigung zu empfinden, und wenngleich Elizabeth den Umstand in keinem ganz so günstigen Licht sehen konnte, mußte auch sie seine mildernde Kraft einräumen.
Mr. Elliot hatte wiederholt seine Aufwartung gemacht, hatte einmal mit ihnen zu Abend gespeist, sichtlich entzückt über eine solche Ehre, denn gemeinhin luden sie nicht zu Tisch – wie ihn überhaupt jeder Beweis vetterlicher Gunst entzückte und er kein höheres Glück kannte, als am Camden Place verkehren zu dürfen.
Anne hörte es sich an, ohne freilich so recht schlau daraus zu werden. Gut, an der Darstellung wollten Abstriche gemacht sein, gehörige Abstriche sogar. Sie bekam es alles in einer verklärten Fassung erzählt. Was immer an dem Hergang der Aussöhnung übertrieben oder unsinnig anmuten mochte, rührte vielleicht nur von der Wahrnehmung der Berichtenden her. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, daß noch mehr dahinterstecken mußte als unmittelbar zu erkennen, wenn Mr. Elliot nach so langer Zeit plötzlich so dringend wünschte, auf gutem Fuß mit ihnen zu stehen. Aus materieller Sicht hatte er nichts zu gewinnen durch ein gedeihliches Verhältnis zu Sir Walter, nichts zu verlieren durch ein Fortdauern der Mißstimmung. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er schon jetzt der Reichere der beiden, und der Herrensitzwar ihm dereinst so sicher wie der Titel. Warum also sollte ein vernünftiger Mann – und er hatte ihr den Eindruck eines sehr vernünftigen Mannes gemacht – sich derart ins Zeug legen? Ihr fiel nur eine Erklärung ein: es ging ihm um Elizabeth. Vielleicht hatte damals ja doch ein Interesse bestanden, auch wenn Bequemlichkeit und der Zufall es in andere Bahnen gelenkt hatten, und nun, da er es sich leisten konnte, seiner Neigung zu folgen, bemühte er sich um sie. Elizabeth war zweifellos eine schöne Frau mit einem feinen, eleganten Benehmen; und ihren Charakter hatte Mr. Elliot, der sie immer nur in der Öffentlichkeit erlebt hatte, und auch das nur als sehr junger Mann, womöglich nie durchschaut. Wie ihr Temperament und Intellekt, nun da Erfahrung sein Urteil geschärft hatte, näherer Überprüfung standhalten würden, war eine andere Frage und eine durchaus heikle. Anne wünschte aufrichtig, er möge nicht zu kritisch oder zu aufmerksam sein, falls es ihm wirklich um sie zu tun war – und daß Elizabeth selbst dies so sah, und daß ihre Freundin Mrs. Clay sie darin bestärkte, legten ein, zwei Blicke nahe, die zwischen den beiden hin und her gingen, als von Mr. Elliots Besuchseifer die Rede war.
Anne erwähnte ihre kurzen Begegnungen mit ihm in Lyme, stieß aber auf wenig Interesse. Gott ja, vielleicht. Sie wüßten es nicht. Schon möglich, daß das Mr. Elliot gewesen sei. Sie mochten ihrer Beschreibung nicht zuhören. Sie beschrieben ihn lieber selbst; besonders Sir Walter. Er pries sein vornehmes Auftreten, seine elegante, modische Erscheinung, sein markantes Gesicht und sein sicheres Auge, auch wenn er nicht verschweigen konnte, daß sein Kinn doch leider Gottes arg hervorstand, ein Manko, das die Zeit offenbar verschlimmert hatte; überhaupt hatten die zehn Jahre fast sämtliche seiner Züge zum Schlechteren
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