Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
und auf sie einredete, mit sehr stark erhobener Stimme, aber dank dem Gekreische der Kinder auf seinen Knien größtenteils unverständlich. Es war ein echtes Familienidyll.
Für Annes Empfinden taugte solch ein häuslicher Wirbelsturm schlecht zum Heilmittel für Nerven, die durch Louisas Krankheit so schwer angegriffen sein mußten; aber Mrs. Musgrove, die sie neben sich zog, um ihr viele Male sehr herzlich für ihren lieben Beistand zu danken, beschloß einen kurzen Abriß ihrer eigenen Leiden mit einem beglückten Blick durch das Zimmer und der Feststellung, daß ihr nach allem, was sie durchgemacht hatte, sicher nichts so wohltun würde wie ein bißchen Frieden und Frohsinn daheim.
Mit Louisa ging es nun in großen Schritten bergauf. Ihre Mutter wagte sogar zu hoffen, daß sie wieder bei ihnen sein könnte, ehe ihre Brüder und Schwestern in die Schule zurückkehrten. Die Harvilles hatten versprochen, sie zu begleiten und als Gäste in Uppercross zu bleiben. Captain Wentworth hatte sich fürs erste verabschiedet; er besuchte seinen Bruder in Shropshire.
»Für die Zukunft«, sagte Lady Russell, sobald sie wiederim Wagen saßen, »denke ich hoffentlich daran, Uppercross in der Weihnachtszeit zu meiden.«
Wie in allem anderen sind auch in puncto Lärm die Geschmäcker verschieden; und Geräusche können als völlig harmlos oder aber als peinigend empfunden werden, weniger aufgrund ihrer Lautstärke als aufgrund ihrer Art. Als Lady Russell nicht viel später an einem regnerischen Nachmittag in Bath einfuhr und ihr Wagen durch die langen Straßenzüge von der Alten Brücke zum Camden Place rollte, umbrandet von dem Zischen anderer Kutschen, dem schwerfälligen Rumpeln der Fuhrwerke und Karren, dem Plärren der Zeitungsverkäufer, Brötchenverkäufer und Milchverkäufer und dem unaufhörlichen Klappern der Holzschuhe, kam kein Wort der Klage von ihr. Nein, solche Geräusche gehörten für sie zu den Freuden des Winters; ihre Stimmung hob sich unter ihrem Einfluß; und wie Mrs. Musgrove empfand sie, wenn sie es auch nicht so sagte, daß nach so langer Zeit auf dem Lande nichts wohltuender sein konnte als ein bißchen Frieden und Frohsinn ringsum.
Anne teilte diese Gefühle nicht. Sie beharrte in ihrer sehr dezidierten, wenngleich sehr stummen Abneigung gegen Bath, erhaschte einen ersten verschwommenen Blick auf die weitläufigen, im Regen dampfenden Bauten, ohne daß es sie danach verlangt hätte, sie klarer zu sehen, und die Fahrt durch die Straßen ging ihr bei aller Ungemütlichkeit immer noch viel zu schnell; denn wer freute sich da, wo sie hinkam, auf sie? Und mit liebevollem Bedauern dachte sie an den Trubel von Uppercross und die Stille von Kellynch zurück.
Elizabeths letzter Brief hatte eine Neuigkeit von Interesse enthalten: Mr. Elliot war in Bath. Er hatte am Camden Place vorgesprochen; hatte ein zweites Mal vorgesprochen, ein drittes Mal; immer vorbildlich aufmerksam: hatte es sich, wenn Elizabeth und ihr Vater sich nicht täuschten, ebenso angelegen sein lassen, die Bekanntschaft zu suchen und seine Wertschätzung der Verbindung zu betonen, wie er es sichvormals hatte angelegen sein lassen, sie mit Füßen zu treten. Das war eine wundersame Entwicklung, sofern sie der Wahrheit entsprach; Lady Russell befand sich denn auch in einem Zustand äußerst angeregter Neugierde und Verwunderung, was Mr. Elliot betraf, und nahm bereits zurück, was sie eben noch Mary gegenüber so vehement geäußert hatte: daß er jemand sei, den sie auf gar keinen Fall zu treffen wünsche. Sie hegte sehr stark den Wunsch, ihn zu treffen. Wenn er tatsächlich Vergebung suchte, wie es einem gehorsamen Sproß anstand, so mußte ihm die Loslösung vom Familienstamm verziehen werden.
Anne fühlte sich nicht im gleichen Maße beflügelt durch die Nachricht, aber Mr. Elliot war doch jemand, den sie lieber wiedersehen wollte als nicht, und das ließ sich nicht von vielen Menschen in Bath behaupten.
Sie wurde am Camden Place abgesetzt; und Lady Russell fuhr weiter in ihr eigenes Quartier in der Rivers Street.
KAPITEL III
Sir Walter hatte ein vorzügliches Haus am Camden Place genommen, einer so teuren, vornehmen Lage, wie es sich für einen Mann seiner Stellung ziemte; und er wie auch Elizabeth hatten sich zu ihrer vollen Zufriedenheit darin eingerichtet.
Anne betrat es beklommenen Herzens. Sie sah viele Monate der Gefangenschaft auf sich zukommen und sagte bang zu sich selbst: »Ach! wie lange werde ich wohl hier ausharren
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