Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
müssen?« In dem Empfang, der ihr zuteil wurde, schwang jedoch eine unerwartete Freundlichkeit mit, die ihr wohltat. Ihr Vater und ihre Schwester freuten sich, ihr das Haus und die Möbel vorführen zu können, und so fiel die Begrüßung warm aus. Daß sie sich künftig zu viert zu Tisch würden setzen können, wurde sogleich als ein Vorteil herausgestellt.
Mrs. Clay war sehr liebenswürdig und lächelte viel; doch ihre Nettigkeit und ihr Lächeln überraschten Anne weniger. Bei ihr hatte sie nie daran gezweifelt, daß sie bei ihrer Ankunft alles vortäuschen würde, was der Anlaß erforderte; aber die Umgänglichkeit der anderen beiden kam völlig unverhofft. Sie waren sichtlich hervorragender Laune, und Anne durfte ohne Verzug den Gründen dafür lauschen. Ihr zuzuhören waren sie weniger geneigt. Nachdem Anne ihnen das Kompliment schuldig bleiben mußte, daß sie in ihrer alten Nachbarschaft schmerzlich vermißt würden, rangen sie sich gerade noch ein paar halbherzige Erkundigungen ab, ehe es nur mehr um sie gehen durfte. Uppercross war von keinerlei Interesse, Kellynch von fast keinem, alles drehte sich um Bath.
Bath, so versicherten sie ihr, werde ihren Erwartungen voll und ganz gerecht. Ihr Haus sei zweifellos das beste am Camden Place, ihre Salons hätten etliche unleugbare Vorzüge gegenüber allen anderen, die sie selbst gesehen oder beschrieben bekommen hatten, und im Einrichtungsstil und dem Möbelgeschmack äußere sich genau die gleiche Überlegenheit. Ihre Gesellschaft sei in höchstem Maße begehrt. Alle rissen sich darum, sie zu besuchen. Vielen hätten sie sich gar nicht erst vorstellen lassen, und dennoch würden unablässig Karten von Menschen abgegeben, von denen sie niemals gehört hatten.
Welche Fülle der Wonnen! Konnte es Anne da verwundern, daß Vater und Schwester glücklich waren? Verwundern nicht, aber einen Seufzer entlockte es ihr doch, daß ihr Vater so gar nichts Erniedrigendes in der neuen Situation sah; daß er so leichthin die Verantwortung und die Würde des Lehnsherrn abgab; daß er in den Nichtigkeiten des Stadtlebens so viel Nahrung für seine Eitelkeit fand; und mit einem Seufzer, einem Lächeln und, ja, auch verwundert sah sie zu, wie Elizabeth die Flügeltüren aufwarf, wie sie triumphierend aus einem Salon in den nächsten schritt, um den großzügigen Schnitt zu demonstrieren, und sie schüttelte den Kopf, daß eine Frau, die Herrin von Kellynch Hall gewesen war, Grund zum Prahlen zwischen zwei Wänden finden mochte, die gerade zehn Meter auseinanderlagen.
Aber sie hatten noch mehr, das sie glücklich machte. Sie hatten Mr. Elliot. Anne durfte sich eine Menge über Mr. Elliot anhören. Sie hatten ihm nicht nur verziehen, sie waren ganz erfüllt von ihm. Er war seit gut zwei Wochen in Bath (er war auch im November schon einmal dagewesen, auf der Durchreise nach London, und obschon nur vierundzwanzig Stunden in der Stadt, hatte er selbstredend vernommen, daß nun Sir Walter hier lebte, aber die Zeit hatte nicht gereicht); doch jetzt war er bereits die dritte Woche in Bath, und gleich als erstes hatte er seine Karte am Camden Place abgegeben,und danach hatte er sich eines solchen Eifers befleißigt, sie anzutreffen, und als er sie dann antraf, einer solchen Offenheit, solcher Bereitschaft, sich für die Vergangenheit zu entschuldigen, solcher Sorge, sie könnten ihn nicht wieder als Verwandten annehmen, daß ihr früheres gutes Einvernehmen vollauf wiederhergestellt war.
Sie konnten kein Fehl an ihm finden. Alles, was wie Mißachtung von seiner Seite ausgesehen hatte – er hatte es ausgeräumt. Es hatte zur Gänze auf einem Mißverständnis beruht. Ihm wäre nie in den Sinn gekommen, sich von ihnen abzuwenden; er hatte vielmehr befürchtet, in Ungnade gefallen zu sein, aber nicht gewußt, warum, und aus Taktgefühl stillgeschwiegen. Auf die Unterstellung, er könnte sich respektlos oder gleichgültig gegen die Familie und die Familienehre geäußert haben, reagierte er entrüstet. Er, der sich stets so viel auf sein Elliotsches Blut eingebildet hatte, er, dessen Ansichten in puncto Verwandtschaft eher zu strikt waren für den saloppen Ton der heutigen Zeit! Er war befremdet, sehr sogar! Aber sein Leumund und seine ganze Lebensführung widerlegten es hoffentlich! Er könne Sir Walter an alle verweisen, die ihn kannten – und die Mühen, die er es sich bei dieser ersten Gelegenheit zur Aussöhnung hatte kosten lassen, um in den Stand eines Angehörigen und künftigen
Weitere Kostenlose Bücher