Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
herunterkam, hatte die Dame offenbar gerade wacker so getan, als wolle sie abreisen. Mrs. Clay mußte in etwa gesagt haben, nun da Miss Anne hier sei, habe man ja sicherlich keine Verwendung mehr für sie, denn Elizabeth erwiderte in einer Art Flüsterton: »Das ist doch kein Grund, wirklich. Nicht für mich, glauben Sie mir. Sie bedeutet mir längst nicht so viel wie Sie!« – und sie kam gerade zurecht, um ihren Vater sagen zu hören: »Meine Gnädigste, das kommt nicht in Frage. Bisher haben Sie ja noch gar nichts von Bath gesehen. Sie haben sich immer nur nützlich gemacht. Da dürfen Sie uns jetzt nicht im Stich lassen. Sie müssen doch Mrs. Wallis kennenlernen, die schöne Mrs. Wallis. Für eine Frau von Ihrem Feinsinn ist Schönheit ein echter Genuß, das weiß ich.«
Er sagte es mit einem solchen Ernst in Tonfall und Ausdruck, daß Anne nicht überrascht war, als Mrs. Clay verstohlen zu Elizabeth und ihr hinsah. Ihre eigene Miene verriet vielleicht eine gewisse Spannung, bei ihrer Schwester hingegen erregte die »Frau von Feinsinn« sichtlich keinen Verdacht. Die Gnädigste konnte sich dem vereinten Bitten indes nicht verschließen und sagte ihr Bleiben zu.
Als sich Anne und ihr Vater im Laufe des Vormittags einmalallein miteinander fanden, lobte er ihr verbessertes Aussehen: sie sei nicht mehr so mager an Körper und Gesicht, ihre Haut klarer, ihr Teint frischer – viel besser als zuvor – ob sie irgend etwas Besonderes angewendet habe? Nein, nichts. Nichts außer Gowlands Gesichtswasser, mutmaßte er. Nein, überhaupt nichts. Ha! das überrasche ihn – und er fügte hinzu: »Dann halte ruhig alles weiter so wie bisher, besser als gut aussehen kannst du schließlich nicht; und ansonsten empfehle ich Gowlands, die durchgehende Anwendung von Gowlands während der Frühlingsmonate. Mrs. Clay hat es auf meine Empfehlung hin benutzt, und du siehst ja, wie vorzüglich es bei ihr anschlägt, ihre Sommersprossen sind so gut wie weggewaschen.«
Hätte Elizabeth das nur gehört! Lob für Mrs. Clays Äußeres, das hätte vielleicht sogar sie stutzig gemacht, zumal Anne nicht feststellen konnte, daß die Sommersprossen in irgendeiner Weise weniger geworden waren. Aber sie mußte den Dingen ihren Lauf lassen. Die Übel der Heirat würden beträchtlich gemildert, wenn Elizabeth ihrerseits heiratete. Und sie selbst konnte ja jederzeit bei Lady Russell unterkommen.
Lady Russells Gemütsruhe und ihr Sinn für Etikette wurden am Camden Place in diesem Punkt auf manch harte Probe gestellt. Mrs. Clay in solchen Gunsten und Anne so zurückgesetzt zu sehen, ergrimmte sie bei jedem Besuch wieder und grämte sie auch zwischen den Besuchen so sehr, wie irgend etwas einen Menschen in Bath, der die Brunnen trinkt, sämtliche neuesten Veröffentlichungen bezieht und einen sehr großen Bekanntenkreis hat, nur grämen kann.
Als sie Mr. Elliot kennenlernte, wurde sie nachsichtiger oder vielleicht gleichgültiger gegen die anderen. Seine Umgangsformen nahmen sie augenblicklich für ihn ein; und als sie mit ihm ins Gespräch kam, fand sie die äußere Form so vollständig durch inneren Wert untermauert, daß sie, wie sie Anne anvertraute, beinahe laut ausgerufen hätte: »Kann das wirklich Mr. Elliot sein?« und sich beim besten Willen keinennetteren und achtenswerteren Mann vorzustellen vermochte. In ihm vereinte sich alles: Verstand, Korrektheit, Welterfahrung und Warmherzigkeit. Er hielt viel auf familiäre Bande und Familienehre, ohne dabei hochmütig oder schwach zu sein; er lebte mit der Freizügigkeit eines vermögenden Mannes, ohne dabei zu protzen; er bewies in allem Wesentlichen ein unabhängiges Urteil, ohne je den allgemeinen Begriff von Schicklichkeit zu verletzen. Er war beständig, aufmerksam, maßvoll, ehrlich; unanfällig für Temperamentsausbrüche oder jene Selbstsucht, die sich für Gefühlstiefe hält, aber dennoch überaus empfänglich für alles Liebenswürdige und Schöne, und er hatte einen Sinn für die häuslichen Freuden, wie man ihn bei einem Naturell der gewollten Passionen und dramatischen Gefühlswallungen so oft vergeblich sucht. Sie war sich sicher, daß er in seiner Ehe unglücklich gewesen war, Colonel Wallis sagte es, und Lady Russell sah es ihm an; aber es schien ein Unglück, das ihn weder bitter gemacht hatte noch ihn (wie sie binnen kurzem zu mutmaßen begann) daran hinderte, an eine neue Verbindung zu denken. Ihre Befriedigung über Mr. Elliot wog ihren Verdruß über Mrs. Clay mehr als
Weitere Kostenlose Bücher