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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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drücken, und schon liest er den ganzen Tag.«
    »Allerdings, das tut er!« rief Mary voller Spott. »Er brütet über seinem Buch und bekommt es nicht mit, wenn man etwas zu ihm sagt oder wenn einem die Schere herunterfällt oder wenn sonst etwas passiert. Und das soll Lady Russell gefallen?«
    Lady Russell mußte lachen. »Du meine Güte«, sagte sie, »ich hätte nicht gedacht, daß die Vermutungen über mein Urteil in irgendeiner Sache so sehr auseinandergehen können – so beständig und nüchtern, wie ich doch eigentlich bin! Ich bin äußerst gespannt auf diesen Menschen, um den sich derart gegensätzliche Vorstellungen ranken. Ich hoffe sehr, daß er uns die Ehre gibt. Und wenn er das tut, Mary, lasse ich dich sicherlich meine Meinung über ihn wissen; aber ich bin entschlossen, nicht vorher über ihn zu urteilen.«
    »Sie werden ihn nicht mögen, das schwöre ich.«
    Lady Russell wechselte das Thema. Mary berichtete beseelt von ihrer bemerkenswerten Begegnung, oder vielmehr Nicht-Begegnung, mit Mr. Elliot.
    »Das ist nun jemand«, erklärte Lady Russell, »den ich auf gar keinen Fall zu treffen wünsche. Er hat sich so schnöde gegen das Oberhaupt seiner Familie verhalten, daß ich von ihm den allerschlechtesten Eindruck gewonnen habe.«
    Diese Entschiedenheit dämpfte Marys Enthusiasmus und ließ sie mitten in der Elliot-Physiognomie abbrechen.
    Nach Captain Wentworth wagte Anne sich nicht zu erkundigen, aber hinsichtlich seiner Person sprudelten die Auskünfte ohnehin reichlich. Seine Stimmung hatte sich in letzter Zeit, wie zu erwarten, sehr gehoben. Im selben Maße, wie Louisa auflebte, war auch er aufgelebt, so daß er jetztwieder ein ganz anderer Mensch war als in der ersten Woche. Er hatte Louisa noch nicht gesehen; und so groß war seine Sorge, ein Besuch von ihm könnte ihr schaden, daß er in gar keiner Weise darauf drängte, sondern sich im Gegenteil mit der Absicht trug, für eine Woche oder zehn Tage zu verreisen, bis sie etwas robuster war. Er sprach davon, eine Woche nach Plymouth zu fahren, und wollte gern, daß Captain Benwick mitkam; aber wie Charles nicht müde wurde zu betonen, schien Captain Benwick viel eher dazu aufgelegt, nach Kellynch hinüberzureiten.
    Es läßt sich nicht leugnen, daß sowohl Lady Russell als auch Anne von da an mitunter an Captain Benwick dachten. Die Türglocke konnte nicht läuten, ohne daß Lady Russell überlegte, ob sie wohl ihn ankündigte; noch konnte Anne die Einsamkeit des väterlichen Parks auskosten oder die Armen im Dorf besuchen, ohne sich bei der Rückkehr zu fragen, ob sie ihn nicht heute vielleicht sehen oder von ihm hören würde. Aber Captain Benwick ließ sich nicht blicken. Entweder war er doch weniger dazu aufgelegt, als Charles glaubte, oder er war zu schüchtern; und nachdem sie ihm Wochenfrist eingeräumt hatte, entschied Lady Russell, daß er des Interesses, das zu erregen er begonnen hatte, nicht würdig sei.
    Die Musgroves kehrten zurück, um ihre fröhlichen Jungen und Mädchen für die Schulferien in Empfang zu nehmen, und sie brachten die Kleinen von Mrs. Harville mit, auf daß es in Uppercross nicht mehr ganz so still wäre und in Lyme nicht mehr ganz so laut. Henrietta blieb bei Louisa; aber die gesamte restliche Familie war wieder in den gewohnten vier Wänden.
    Lady Russell und Anne machten ihnen einen Besuch, bei dem Anne stark den Eindruck hatte, daß Uppercross schon jetzt wieder recht lebendig sei. Obgleich weder Henrietta noch Louisa, weder Charles Hayter noch Captain Wentworth da waren, hätte der Gegensatz zu dem Zimmer, so wie sie es zuletzt gesehen hatte, kaum größer sein können.
    Eng um Mrs. Musgrove scharten sich die kleinen Harvilles, von ihr sorglich gegen die Übergriffe der beiden Kinder aus dem Cottage verteidigt, die eigens zu ihrer Unterhaltung aufmarschiert waren. Auf einer Seite saßen mehrere schwatzende Mädchen um einen Tisch und schnitten Seide und Goldpapier zu; auf der anderen bogen sich mehrere Serviertische unter Platten mit Pökelfleisch und kalten Pasteten, an denen sich ein Haufen wilder Knaben gütlich tat; das Ganze vervollständigt durch ein prasselndes Weihnachtsfeuer, das fest entschlossen schien, sich über das Lärmen der anderen hinweg Gehör zu verschaffen. Auch Charles und Mary mußten während ihres Besuches natürlich vorbeischauen; und Mr. Musgrove ließ es sich nicht nehmen, Lady Russell seinen Respekt zu erweisen, zu welchem Zweck er sich für zehn Minuten dicht neben sie setzte

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