Anne Frasier
»Ich will nicht, dass irgendein Grünschnabel meine Beweise versaubeutelt und an Tatorten ohnmächtig wird«, sagte Max. Man konnte ehrlich sein mit Abraham. Das machte ihn zu einem so guten Superintendent. Außerdem waren sie seit Jahren Freunde.
»Gib ihr eine Chance. Sie ist ein Profi. Ich glaube, sie wird uns weiterhelfen. «
»Warum jemand aus Kanada?« In Kanada gab es natürlich auch psychotische Knallkopf-Mörder, beispielsweise den Scarborough-Killer, der seine Opfer an Zäunen aufknüpfte, aber die Gesamtzahl im Land kam nicht einmal auf die Menge Chicagos allein. »Dafür gibt es doch keinen Grund.«
Vorjahren hätte Max wahrscheinlich eine lange Tirade zu hören bekommen, dass die Welt sowieso keinen Sinn ergab und er einfach tun sollte, was man ihm sagte. Jetzt stand Abraham Sinclair, ein Mann des neuen Millenniums, stattdessen auf und sagte: »Ich muss los. Ich brauche ein Geburtstagsgeschenk.«
Je näher Abrahams Ruhestand rückte, desto weniger interessierte er sich für die Arbeit. Ausgebrannt, vermutete Max, und er bewegte sich auch im Geiste weiter davon weg, auf eine Zeit zu, in der er mehr Zeit mit seiner Enkelin verbringen konnte und im Winter in Florida Urlaub machte.
Max starrte ihn an und fragte sich plötzlich, ob Abraham und diese Dunlap-Tante etwas miteinander hatten. Und wenn ja, warum hatte er sie noch nie zuvor erwähnt? Max kannte Abraham schon lange. Er hatte seine Scheidung miterlebt und seinen Kampf gegen die Alkoholsucht, die so eng mit der Polizeiarbeit verbunden war. Genauso wie kaputte Beziehungen. Es war schwierig, jeden Tag diese Schrecken zu sehen und dann nach Hause zu gehen und mit seiner Frau Fernsehkomödien anzuschauen oder darüber zu reden, welche Tapete im Badezimmer am besten aussehen könnte. Selbst ein krankes Kind wirkte trivial im Vergleich zu dem, womit sie jeden Tag zu tun hatten.
»Sie fliegt morgen her. Ich hole sie ab und bringe sie zum Grand Central«, sagte Abraham. »Ich möchte, dass du sie über alles informierst, was mit dem Fall zu tun hat.« Er griff nach der Akte und reichte sie Max. »Und gib ihr das.«
»Mehr als die Hälfte der Informationen in dieser Akte ist vertraulich.«
»Sie hat Zugriff darauf.« »Wir können nicht riskieren, dass sie irgendetwas davon an die Presse weitergibt.«
»Das wird auch nicht passieren. Und du weißt ganz genau, dass es dabei nicht um dich geht. Ich habe dir den Fall übertragen, weil du der Beste bist und weil ich wusste, dass keiner dir das Händchen halten muss.«
Dunlap dazuzuholen war Abraham offensichtlich wichtig. Er würde sonst nicht so viel riskieren. Aber manchmal taten Männer, wenn es um Frauen ging, eigenartige Dinge. Er hatte das immer und immer wieder gesehen. Er hätte bei einem harten Kerl wie Abraham nicht erwartet, dass er so biegsam würde, aber Max wusste, dass niemand immun war, vor allem wenn auch noch Sex im Spiel war.
Also fragte er direkt. »Schläfst du mit ihr?«
Abraham seufzte, seine Reaktion war Antwort genug. »Lass es gut sein, Max. Wenn ich dir mehr sagen könnte, würde ich es tun, aber ich habe dir schon zu viel gesagt.«
Das reichte Max. Er ließ es auf sich beruhen. Wenn Abraham fand, Dunlap sollte mit dem Fall zu tun haben, dann sollte sie mit dem Fall zu tun haben. Max konnte nichts dagegen tun, dass er weder die Zeit noch die Geduld hatte, sich um sie zu kümmern.
Abraham schaltete den Ventilator aus, schnappte sich sein Jackett und ging zur Tür. »Was soll ich ihr kaufen?«
»Ihr kaufen?« Wollte er der Frau ein Willkommensgeschenk besorgen?
»Meiner Enkelin. Sie ist sechs. Was mögen Sechsjährige?«
»Woher soll ich das wissen? Ich habe einen Sechzehnjährigen, und ich hab keine Ahnung, was der mag.«
»Dann finde es mal lieber raus, sonst wird dir die Zeit knapp.« Max versuchte gerade, mit dieser unangenehmen Wahrheit klarzukommen, als Abraham ihm schon die nächste Frage stellte, eine harmlosere.
»Bist du schon fertig mit deiner Website?«
Nicht das schon wieder. »Ich brauche keine Website.« »Du musst eine Website haben. Es ist eine der einfachsten Möglichkeiten, die Kommunikation zu erleichtern. Auf meiner ist eine rauchende Pistole drauf.«
Gemeinsam verließen sie das Gebäude, sie plauderten auf dem Weg zum Parkplatz, wo Max sich von dem älteren Mann verabschiedete, in seinen Wagen stieg und die Mordakte auf den Beifahrersitz legte.
Er überprüfte seinen Handy-Anrufbeantworter und stellte enttäuscht, aber nicht überrascht fest,
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