Anne Frasier
Max gesagt. Es war das Einzige, was ihm einfiel, obwohl er ziemlich sicher war, dass die Worte gar nichts brachten, genauso wie Ethans Bewährung.
Und dann hatte Ethan einen Satz gesagt, der in den letzten fünfzig Jahren in Häusern im ganzen Land viel zu oft gesagt worden war. »Du hast mir gar nichts zu sagen. Du bist nicht mein richtiger Vater.« Es war ein Klischee, das trotzdem wehtat. Es schien unmöglich, aber so war es.
Er liebte den Jungen bei Gott mehr als das Leben selbst - aber, Teufel, er konnte so eine Nervensäge sein.
»Ich will meinen richtigen Vater finden«, hatte Ethan gesagt. Und jetzt ging auch noch dieser ganze Madonna-Mordfall wieder los, und Max glaubte, wahnsinnig zu werden - er musste sich ganz auf den Fall konzentrieren.
Max hatte gewusst, dass der Tag kommen würde, an dem Ethan mehr über seinen tatsächlichen Vater wissen wollte. Aber warum jetzt, wenn alles schon so wahnsinnig war? Es gab Dinge, die Max ihm nicht gesagt hatte, Dinge, von denen er nicht wusste, wie er sie ihm sagen sollte - aber jetzt war auf keinen Fall der richtige Zeitpunkt dafür.
Es war einfach so über ihn gekommen, das Vatersein. Eine merkwürdige Ereigniskette, in deren Mittelpunkt er sich plötzlich gefunden hatte. Max hatte Ethans Mutter kennen gelernt, als Ethan drei Jahre alt gewesen war. Sie waren ein paar Mal miteinander ausgegangen. Okay, vielleicht zehn-, zwölfmal. Max war schon ziemlich sicher, dass sie nicht zueinander passten, aber er wollte der Sache noch eine Chance geben. Eines Nachts hatte er sich entschieden, ihr zu sagen, dass es nicht funktionierte, als sie ihm erklärte, dass sie sterben würde. Und dass sie nach jemandem suchte, der sich um ihren Sohn kümmerte.
Max wünschte, er könnte von sich sagen, dass er sofort zugestimmt und ihr geholfen hätte, sie unterstützt hätte, aber in Wahrheit war er davongelaufen. Drei Wochen später kehrte er zurück.
Er kannte sich aus mit dem Tod, hatte schon reichlich Leichen gesehen, als er Cecilia kennen lernte, aber nichts davon hatte ihn auf ihren langsamen, grausamen Krebstod vorbereitet. Wenn man zusieht, wie jemand an Krebs stirbt, wird man ein anderer Mensch. Die Frage nach der Menschlichkeit, die Frage danach, was es heißt, ein Mensch auf diesem Planeten Erde zu sein, ist für immer offen und wird nie beantwortet. Diese intime Kenntnis des Todes drohte Max auf eine Art zu schwächen, in der er nicht geschwächt werden wollte.
Cecilia war so tapfer, dass er sich in diesen letzten paar Wochen Schritt für Schritt in sie verliebte. Er kümmerte sich um sie, bis sie starb, dann adoptierte er Ethan. Die Adoption veränderte Max' Leben in einer Weise, die er sich nie vorgestellt hatte, aber inzwischen war die umfassende Liebe, die er für seinen Sohn empfand, gemischt mit Konfusion und Frustration.
Und so lebten die beiden einander feindselig gegenüber tretenden Männer in einem schimmernden Vorort am Rande des Nirgendwo und versuchten, sich nicht gegenseitig umzubringen. Und nun musste Ersatzvater Max auch noch eine Newcomerin babysitten, die Polizistin spielen wollte, und einen Verrückten ausfindig machen, der Frauen und ihre neugeborenen Söhne umbrachte.
3
Ivy Dunlaps Flug sollte um 11:48 in Chicago landen. Das Wissen darum ließ Abraham schwitzend in seinem uralten BMW mit den zerschlissenen Ledersitzen durch den dichten Verkehr Chicagos brausen, da er rechtzeitig am Flughafen sein wollte, um zu sehen, wie sie ankam, denn er musste wissen, ob man sie erkennen konnte. Wenn ja, würde er sie sofort in das nächste Flugzeug zurück nach Hause setzen.
Abraham selbst sah überhaupt nicht mehr so aus wie vor all den Jahren, aber manche Menschen verändern sich stark, andere nicht. Er hatte längst aufgehört, zu den Highschool-Klassentreffen zu gehen, denn beim fünfundzwanzigsten Jahrestag konnte er sich schon nicht einmal mehr an die Hälfte der Leute dort erinnern. Es war, als plauderte man mit einem Haufen Fremder über alte Zeiten. Manche sahen so anders als früher aus, dass man sie nur noch mit Hilfe ihrer Fingerabdrücke oder Gebisse hätte identifizieren können. Es hatte ihn deprimiert, als er seine alten Freunde nicht erkannte, aber jetzt hoffte er, dass die sechzehn Jahre, die Ivy Dunlap in Kanada verbracht hatte, ihr Äußeres drastisch verändert hatten. Um ihretwillen hoffte er, dass sie dick, grau und hässlich geworden war.
Er war spät dran, weil er noch ein Geburtstagsgeschenk für seine Enkeltochter besorgt hatte.
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