Anne Frasier
und seinem Sohn.
Er schwieg. Sie wusste, dass er darüber nachdachte, was vor ihr lag. »Ich werde Sie nicht bitten, zu bleiben«, sagte er. »Sie sind die Einzige, die diese Entscheidung treffen kann, aber Abraham hatte recht, als er sagte, dass man nach so etwas nicht die Tür schließen und erwarten kann, dass sie verschlossen bleibt. Ich wünschte wirklich, Sie könnten zurück nach Kanada gehen und alles vergessen. Aber Sie wissen selbst, dass das nicht geht. Und ich persönlich fände es nicht schön, wenn Sie so weit weg sind.«
»Es ist nicht weit. Zwei Stunden mit dem Flugzeug.«
»Das wäre nicht dasselbe.«
»Was versuchen Sie mir zu sagen?«
Sie konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er Mühe damit hatte, wie viel von sich er preisgab. »Ich sage, dass ich Sie vermissen werde«, gab er zu. »Aber ich will, was am besten für Sie ist, nicht für mich.«
Er war ihr Freund, begriff sie plötzlich, und sie hatte einen solchen Freund seit langer Zeit gebraucht.
»Ich weiß«, sagte sie sanft.
Hier in Chicago lebten die einzigen beiden Menschen auf der Welt, die sie kannten und verstanden: Max und Abraham.
Er trat weg vom Fenster. »Ich muss bald los. Ich will Ethan nicht zu lange alleine lassen.«
»Bedanken Sie sich bitte bei ihm von mir für die Rosen. Sie sind wunderschön.«
»Er möchte Sie gern wiedersehen, er möchte mit Ihnen reden, aber noch nicht gleich. Es ist alles noch zu frisch. Er weint viel, und er kann es nicht kontrollieren. Ich glaube, das ist ihm peinlich.«
»Es ist gut, wenn er Gefühle zeigt.«
»Das habe ich ihm auch gesagt. Wein wie der Teufel, wenn du willst.«
»Wenn er jemals reden will, ich stehe zur Verfügung - Tag und Nacht. Bitte sagen Sie ihm das.«
»Mache ich.«
Er nahm ihre unverletzte Hand und hielt sie zwischen seinen beiden, als wäre sie ein kleiner, verletzlicher Vogel. »Sic haben das Leben meines Sohnes gerettet. Darauf können Sie stolz sein.«
Sie wusste, dass sie beide an jenen Sohn dachten, den sie nicht hatte retten können. Und obwohl der Verlust schon so lange her war; hatte das schreckliche Erlebnis in ihrer alten Wohnung letztendlich die Erinnerungen wieder freigesetzt. »Das Hirn ist so ein unglaubliches Ding«, sagte sie und spürte die Erleichterung in ihrem Herzen. Ethan gerettet zu haben, sprach sie frei von der Schuld, die sie so lange mit sich herumgeschleppt hatte.
Eine Krankenschwester kam ins Zimmer. »Ach, hier sind Sie. Wir haben Sie schon gesucht. Zeit für Ihre Medikamente.« Sie reichte ihr ein Papierbecherchen mit einer Codein-Tablette, die Ivy dankbar schluckte. Ihre Hand hatte begonnen zu pulsieren. Die Ärzte hatten Nerven und Sehnen retten können, aber sie würde wahrscheinlich nie wieder die volle Beweglichkeit erreichen. Und in ein paar Jahren, hatte man sie gewarnt, würde sie höchstwahrscheinlich Arthrose bekommen.
Die Krankenschwester fuhr Ivy zurück in ihr Zimmer und half ihr ins Bett.
»Sind die Schmerzen schlimm?«, fragte Max, als die Krankenschwester gegangen war.
Ivy öffnete die Augen. »Manchmal tut es höllisch weh«, gab sie zu. »Aber ich komme schon klar. Es wird nur eine Weile dauern.«
»Sie sind ein unglaublich starker Mensch, Ivy Dunlap.«
Sie lächelte, sie freute sich nicht nur über das Kompliment, sondern auch darüber, dass er sie bei ihrem wahren Namen genannt hatte. Denn sie war jetzt Ivy. Sie war schon lange Ivy.
Sie begann einzuschlafen, als er sich vorbeugte und seine Lippen auf ihre Stirn drückte. »Ich habe Ihnen etwas auf den Nachttisch gelegt«, flüsterte er, »das Ihnen vielleicht helfen wird, eine Entscheidung zu treffen.«
Scheiße.
Oh, Scheiße.
Regina fühlte sich so grauenhaft beschissen.
Als erdrückte sie eine dicke Zementdecke, hinderte sie daran, tief durchzuatmen.
Schlafen. Bloß schlafen.
Aber sie konnte nicht schlafen. Sie fühlte sich zu beschissen zum Schlafen. Sie hatte Kopfschmerzen. Ihre Augen taten weh. Ihre Gelenke.
Und die Schmerzen nahmen immer weiter zu. Sie gingen nicht weg. Sie nahmen immer weiter zu, bis sie keine andere Wahl hatte, als ihre Augen zu öffnen.
Grelles Licht blendete sie.
Ein Gewicht auf ihren Oberschenkeln.
Jemand mit dunklem Haar, die Stirn gegen ihr Bein gedrückt.
Runter Ja.
Sie versuchte, sich zu bewegen, versuchte, die Person wegzudrücken, aber sie brachte bloß ein kleines Zucken und ein Stöhnen zustande, das kaum mehr war als ein Ausatmen. Mit einer Hand versuchte sie, gegen den Kopf desjenigen zu
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