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Anne in Avonlea

Anne in Avonlea

Titel: Anne in Avonlea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Federn, in diesem günstigen Augenblick klopfte jemand an die Küchentür.
    »Das muss Mr Shearer sein«, dachte Anne. »Ich sehe furchtbar aus, aber ich muss, so wie ich bin, nach unten gehen. Er hat es immer so eilig.«
    Anne stürmte nach unten an die Küchentür.
    Auf der Stufe standen Priscilla, strahlend schön in einem Seidenkleid, eine kleine, korpulente, grauhaarige Dame in einem Tweedkostüm und eine große, stattliche, wundervoll gekleidete Frau mit einem schönen, vornehmen Gesicht und großen, veilchenblauen Augen mit schwarzen Wimpern, die Anne »instinktiv«, wie sie es früher genannt hatte, für Mrs Charlotte E. Morgan hielt.
    Vor Entsetzen kam Anne in ihrer Verwirrung nur ein Gedanke in den Sinn, an den sie sich klammerte wie an den sprichwörtlichen Strohhalm. Wenn Mrs Morgans Heldinnen für etwas bekannt waren, dann dafür, dass sie »sich einer Lage gewachsen zeigten«, ln welchen Schwierigkeiten sie auch steckten, sie waren stets Herr der Lage und meisterten alle Widrigkeiten des Lebens. Also hielt Anne es ebenfalls für ihre Pflicht, sich der Lage gewachsen zu zeigen. Das gelang ihr so gut, dass Priscilla hinterher erklärte, sie hätte Anne Shirley nie mehr bewundert als in diesem Augenblick. Welch schändliche Gefühle sie auch hegte, sie zeigte sie nicht. Sie begrüßte Priscilla, wurden deren Begleiterinnen vorgestellt und blieb so ruhig und gelassen, als wäre sie in Purpur und feines Leinen gekleidet. Gewiss, es war schon irgendwie ein Schock, feststellen zu müssen, dass die Dame, die sie instinktiv für Mrs Morgan gehalten hatte, gar nicht Mrs Morgan war, sondern eine unbekannte Mrs Pendexter. Die korpulente, untersetzte, grauhaarige Frau war Mrs Morgan. Aber angesichts des größeren Schocks verlor der kleinere an Gewicht. Anne führte ihre Gäste ins Empfangszimmer und von dort aus ins Wohnzimmer. Sie ließ sie dort allein, um nach draußen zu eilen und Priscilla beim Abschirren des Pferdes zu helfen.
    »Es tut mir Leid, dass wir dich so überrumpeln«, entschuldigte sich Priscilla. »Aber bis gestern Abend hatte ich selbst keine Ahnung davon. Tante Charlotte fährt am Montag wieder ab. Sie wollte heute eigentlich eine Freundin in der Stadt besuchen. Gestern Abend rief ihre Freundin sie an und sagte, sie könne nicht kommen, weil sie Scharlach hätte. Also habe ich vorgeschlagen, stattdessen hierherzufahren, weil ich ja wusste, wie sehnlichst gern du sie kennen lernen wolltest. Wir haben im Hotel in White Sands angerufen und Mrs Pendexter abgeholt. Sie ist eine Freundin meiner Tante und kommt aus New York. Ihr Mann ist Millionär. Wir können nicht lange bleiben, weil Mrs Pendexter gegen fünf wieder im Hotel sein muss.«
    Mehrfach, während sie das Pferd wegfuhrten, ertappte Anne Priscilla dabei, wie sie sie verstohlen und bestürzt ansah.
    »Sie braucht mich gar nicht anzustarren«, dachte Anne leicht gereizt. »Wenn sie schon nicht weiß, was es heißt, ein Federbett umzufüllen, dann kann sie es sich wenigstens einmal vorstellen.«
    Als Priscilla ins Wohnzimmer gegangen war - noch ehe Anne nach oben entfliehen konnte -, trat Diana in die Küche. Anne packte die erstaunte Freundin am Arm.
    »Diana Barry, wer, glaubst du, sitzt in eben diesem Augenblick dort im Wohnzimmer? Mrs Charlotte E. Morgan. Und die Frau eines New Yorker Millionärs. Und ich stehe ohne etwas da — wir haben nichts zum Mittagessen im Haus außer kalten Braten, Diana!«
    Da fiel Anne auf, dass Diana sie genauso bestürzt ansah, wie Priscilla sie angeschaut hatte. Das war wirklich zu viel.
    »0 Diana, starre mich nicht so an«, flehte sie. »Du zumindest müsstest wissen, dass auch der ordentlichste Mensch der Welt nicht Federn von einem Bett in ein anderes umfüllen kann und hinterher noch genauso ordentlich aussieht wie vorher.«
    »Es . . . es . . . ist nicht wegen der Federn«, sagte Diana zögernd. »Es ... es ist wegen deiner Nase, Anne.«
    »Meine Nase? Oh, Diana, damit stimmt doch alles?«
    Anne stürzte an den kleinen Spiegel über dem Spülbecken. Ein Blick enthüllte die verheerende Wahrheit. Ihre Nase leuchtete scharlachrot!
    Anne setzte sich aufs Sofa, ihre Unerschrockenheit schwand dahin.
    »Was ist mit dir passiert?«, fragte Diana. Ihre Neugierde war stärker als der Takt.
    »Ich dachte, ich reibe sie mit meiner Sommersprossen-Lotion ein, aber ich muss diese rote Farbe erwischt haben, womit Marilla die Muster auf ihre Teppiche zeichnet«, lautete die verzweifelte Antwort. »Was soll ich nur

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