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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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und aktiv war.
    Obwohl er hauptsächlich an den nördlichen Feldzügen entlang des Rheins teilgenommen hatte, war er auch ei-ne Zeit lang in Syrien stationiert gewesen. Er hatte in Athen studiert. Da er so lange und mit solchem Erfolg gedient hatte, durfte er noch während der Jahre, in denen ich heranwuchs, seinen frühzeitigen Abschied nehmen; und obwohl mir das damals nicht auffiel, war damit auch ein vorzeitiger Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben verbunden, das um den kaiserlichen Palast seine Kreise zog.
    Meine fünf Brüder kamen vor mir auf die Welt, so dass bei meiner Geburt die übliche »rituelle Trauer« ausblieb, wie man sie von anderen römischen Familien kannte, wenn ein Mädchen geboren wurde. Ganz im Gegenteil.
    Fünf Mal hatte mein Vater im Atrium gestanden – dem Innenhof unseres Anwesens mit seinen Säulen und Stufen und dem herrlichen Marmorwerk –, fünf Mal hatte er dort vor der versammelten Familie gestanden, einen neugeborenen Sohn in den Händen gehalten, ihn unter-sucht und dann für vollkommen erklärt, für wert, als sein eigenes Kind aufgezogen zu werden, alles, wie es dem Vorrecht meines Vaters entsprach. Damit hatte er, wie du weißt, die Gewalt über Leben und Tod seiner Söhne.
    Wenn mein Vater diese Söhne aus irgendeinem Grund nicht gewollt hätte, hätte er sie aussetzen können, um sie verhungern zu lassen. Wer ein solches Kind aufnahm und zum Sklaven machte, verstieß gegen das Gesetz.
    Da mein Vater schon fünf Söhne hatte, rechneten einige Leute damit, dass er mich sofort würde loswerden wollen. Wer brauchte schon ein Mädchen? Aber mein Vater hat niemals ein von meiner Mutter geborenes Kind abgelehnt oder ausgesetzt.
    Und man hat mir erzählt, dass er vor Freude geweint hat, als ich das Licht der Welt erblickte.
    »Den Göttern sei Dank! Ein kleines Schätzchen.« Diese Geschichte habe ich von meinen Brüdern bis zum Erbrechen gehört; jedes Mal, wenn ich wieder auffiel – etwas Ungehöriges, Lustiges oder Wildes anstellte –, sagten sie grinsend: »Den Göttern sei Dank! Ein kleines Schätzchen!« Es wurde eine charmante Lästerung.
    Meine Mutter starb, als ich zwei Jahre alt war, und das Einzige, an das ich mich erinnern kann, ist ihre Sanftheit und Zärtlichkeit. Sie verlor ebenso viele Kinder, wie sie gesunde Kinder geboren hat, und ihr früher Tod passte in dieses Bild. Mein Vater schrieb einen wunderschönen Nachruf auf sie und hielt ihr Andenken in Ehren, solange ich lebte. Er brachte keine andere Frau mehr ins Haus.
    Zwar schlief er mit einigen Sklavinnen, aber das war nichts Ungewöhnliches. Meine Brüder taten das Gleiche.
    Das war in einem römischen Hauswesen üblich. Aber er nahm keine neue Frau aus einer anderen Familie, die über mich hätte bestimmen können.
    Ich trauere nicht um meine Mutter, ich war einfach noch zu jung, als sie starb, und sollte ich geweint haben, als sie nicht wiederkam, dann kann ich mich nicht daran erinnern.
    An was ich mich erinnern kann, ist, dass ich ein altes, rechtwinkliges, palastartiges römisches Haus zur Verfü-
    gung hatte, mit Fluchten von rechtwinkligen Räumen, das Ganze eingebettet in einen großen Park hoch auf dem Palatin. Das Haus hatte Marmorböden und mit Malereien reich verzierte Wände, und an jedes Zimmer grenzte der verwinkelte Garten.
    Ich war der eigentliche Augapfel meines Vaters, und ich weiß noch, wie viel Spaß es mir machte, meinen Brüdern draußen bei ihren Übungen mit dem Kurzschwert zuzusehen oder ihrem Unterricht zu lauschen, und dass ich dann selbst gute Lehrer bekam, die mir das Lesen bei-brachten. Schon vor meinem fünften Lebensjahr konnte ich die Aeneis von Vergil lesen.
    Ich liebte Worte. Ich singe oder spreche sie zu gern, und gerade jetzt – ich muss es zugeben – finde ich sogar Vergnügen daran, sie niederzuschreiben. Das hätte ich dir vor ein paar Nächten noch nicht sagen können, David.
    Ich muss dir gestehen, dass du etwas in mir wachgerufen hast. Und ich darf hier, in diesem Café der Sterblichen, die Worte nicht zu schnell aus der Feder fließen lassen, sonst mache ich mich noch verdächtig!
    Also fahren wir fort.
    Mein Vater fand es wahnsinnig komisch, dass ich in so zartem Alter schon Vergils Verse zitieren konnte, und er tat nichts lieber, als beiFestessen mit mir anzugeben, wenn er seine konservativen, irgendwie altmodischen Freunde aus dem Senat und manchmal sogar Augustus persönlich unterhielt. Kaiser Augustus war ein umgänglicher Mann. Ich glaube zwar nicht,

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