Anne Rice - Pandora
seine Hand, bis sein Körper erkaltet war. Niemand wurde auf unserem Anwesen in Rom ausgepeitscht, es sei denn, mein Vater gab selbst den Befehl dazu. Auf unseren Landgütern faulenzten die Sklaven unter den Obstbäumen. Unsere Haushofmeister waren reich und stellten das auch mit entsprechender Kleidung zur Schau.
Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als sich in unseren Gärten viele alte griechische Sklaven ergingen, so dass ich Tag für Tag bei ihnen saß und zuhörte, wie sie disku-tierten. Sie hatten nichts anderes zu tun. Ich lernte eine Menge dabei.
Meine Jugend war mehr als glücklich. Wenn du findest, dass ich mit meiner umfassenden Bildung übertreibe, lies in den Briefen des Plinius nach oder in den Memoiren oder Korrespondenzen von Leuten aus jener Zeit. Vornehme junge Mädchen genossen eine gute Erziehung; die römischen Frauen jener Zeit blieben zum größten Teil von männlicher Einmischung verschont. Wir nahmen am Leben genauso teil wie die Männer.
Zum Beispiel war ich kaum acht Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit den Frauen meiner Brüder in die Arena mitgenommen wurde, wo ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, zuzusehen, wie exotische Tiere, Giraffen zum Beispiel, wild herumgehetzt wurden, ehe man sie mit Pfeilen erlegte. Diesem Schauspiel folgte eine kleine Gruppe von Gladiatoren, die andere Gladiatoren erschlug, und dann erschien ein Haufen Krimineller, der den hungrigen Lö-
wen zum Fraß vorgeworfen wurde.
David, ich kann das Knurren dieser Löwen noch hören, als wäre es heute. Nichts steht zwischen mir und jenem Augenblick, da ich auf der hölzernen Bank saß, vielleicht zwei Reihen oberhalb der Arena – ein begehrter Platz –, und zusah, wie diese Bestien lebendige Menschen ver-schlangen; und wie man es von mir erwartete, sah ich mit Vergnügen zu, um Seelenstärke und Furchtlosigkeit angesichts des Todes zu beweisen und eben nicht das schiere Entsetzen.
Die Zuschauer schrien und lachten, während dort unten Männer und Frauen vor den Bestien flohen. Manchmal wurde der Menge diese Befriedigung versagt, dann standen die Opfer einfach starr, wie von einer Lähmung be-fallen, wenn die gierigen Löwen sie angriffen und sie bei lebendigem Leibe fraßen; das war, als ob ihre Seelen bereits den Körper verlassen hätten, obwohl die Löwen ihnen noch nicht einmal die Kehle zerfetzt hatten.
Ich kann mich noch an den Geruch erinnern. Aber stärker als alles andere ist mir der Lärm der Massen in Erinnerung geblieben.
Ich bestand den Test für Charakterstärke, ich war fähig, mir das alles anzusehen. Ich konnte, ohne mit der Wimper zu zucken, zusehen, wie der Stargladiator schließlich sein Ende fand und auf dem Sand verblutete, wenn das Schwert seine Brust durchbohrte.
Aber ich weiß auch noch genau, dass mein Vater kaum hörbar vor sich hin murmelte, dass das ganze Schauspiel Ekel erregend sei. Genau genommen fand jeder, den ich kannte, dies alles abstoßend. Mein Vater glaubte aber, wie die anderen auch, dass das gewöhnliche Volk dieses Blutvergießen brauchte, und wir, die Höhergeborenen, mussten uns das dem Volk zuliebe mit ansehen. Diesen öffentlich dargebotenen Grausamkeiten wohnte fast schon etwas Religiöses inne. Die Veranstaltung dieser schockierenden Schauspiele galt als Teil unserer sozia-len Verantwortung.
Auch das römische Leben fand unter den Augen der Öffentlichkeit statt. Man nahm an Zeremonien und öffentlichen Darbietungen teil, man ließ sich sehen, zeigte Interesse und fand sich mit anderen zusammen.
Man traf alle anderen Hochgeborenen der Stadt oder auch solche von niedriger Geburt, und man vereinigte sich zu einer Menge, um einen Triumphzug zu sehen oder um einem großen Opfer am Altar des Augustus, einer ehrwürdigen Zeremonie, einem Spiel oder Wagen-rennen beizuwohnen.
Wenn ich mir heute, im zwanzigsten Jahrhundert, das endlose Intrigenspiel und Gemetzel in den Kino- und Fernsehfilmen unserer westlichen Welt ansehe, frage ich mich, ob die Menschen das nicht wirklich brauchen; ob sie nicht das Bedürfnis haben, sich Mord und Totschlag, den Tod in allen Formen anzusehen. Manchmal kommt mir das Fernsehen vor wie eine endlose Serie von Gla-diatorenkämpfen oder Massakern. Und sieh dir nur das Geschäft mit Video-Aufzeichnungen von aktuellen Kriegen an.
Dokumentationen von Kriegen sind so etwas wie Kunst und Unterhaltung geworden.
Der Kommentator spricht mit gedämpfter Stimme, während die Kamera über Leichenberge oder ausgezehrte Kinder gleitet, die in
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