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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Streifzügen und bei meiner Lektüre kennen gelernt, doch die eigentliche Bekanntschaft mit ihr machte ich größtenteils in diesem Jahrhundert, also schreibe ich für dich in umgangssprachlichem Englisch.
    Dafür gibt es noch einen anderen Grund, den du gewiss verstehen wirst, wenn du die modernen Überset-zungen des Satyricon von Petronius oder die Satiren des Juvenal gelesen hast. Das ganz moderne Englisch ent-spricht tatsächlich dem Latein meiner Zeit.
    Das lässt der formelle Schriftwechsel des römischen Kaiserreichs nicht erkennen. Aber die Graffiti an den Mauern Pompejis machen es sehr deutlich. Wir bedien-ten uns einer raffinierten Sprache, die über zahllose pfif-fige Abkürzungen und geläufige Ausdrücke verfügte.
    Ich werde daher in einer Sprache schreiben, die ich als gleichwertig und natürlich empfinde.
    Lass mich hier noch schnell in einer Erzählpause ein-flechten, dass ich nie, wie Marius behauptet hat, eine griechische Kurtisane war. Mein Leben erweckte diesen Eindruck, als Marius mir die Dunkle Gabe verlieh, und vielleicht beschrieb er mich so aus Rücksicht auf alte sterbliche Geheimnisse. Womöglich war es aber auch verächtlich gemeint, dass er mich so nannte. Ich weiß es nicht.
    Immerhin wusste Marius alles über meine Familie in Rom: dass sie Senatoren stellte, dass sie zur Aristokratie gehörte wie seine eigene Familie und auch die gleichen Privilegien genoss und dass wir geradewegs von den Gründern Roms, Romulus und Remus, abstammten, was auch für seine eigene Familie galt. Außerdem erlag Marius mir nicht, weil ich so »wunderschöne Arme« hatte, wie er es Lestat gegenüber andeutete. Er wollte mit dieser trivialen Bemerkung vielleicht nur provozieren.
    Ich werfe ihnen beiden nichts vor, weder Marius noch Lestat, ich weiß nicht, wer von den beiden was falsch verstanden hat. David, was ich für meinen Vater empfinde, ist bis heute, da ich hier in diesem Café sitze und für dich schreibe, immer noch so stark, dass mich die Wirkung des Schreibens erstaunt – bringen mir doch die Worte auf dem Papier die geliebten Züge meines Vaters ganz lebendig wieder zurück.
    Mein Vater sollte ein schreckliches Ende nehmen. Er hat nicht verdient, was ihm widerfuhr. Aber einige aus unserer Sippe überlebten und brachten unsere Familie später zu neuer Blüte.
    Mein Vater war reich, er gehörte wirklich zu den Millionären jener Epoche, und er hatte sein Kapital breit angelegt. Er trat häufiger zum Militärdienst an, als man es von ihm, dem Senator, einem von Natur aus nachdenklichen, ruhigen Mann, erwartet hätte. Und nach den Schrecken des Bürgerkriegs war er ein großer Anhänger von Caesar Augustus und stand sehr hoch in der Gunst des Herrschers.
    Natürlich träumte er wie wir alle davon, dass die Römische Republik wieder erstehen würde. Aber Augustus hatte dem Imperium Einheit und Frieden geschenkt.
    Ich erlebte Augustus in meiner Jugend etliche Male, es war immer bei irgendeiner gut besuchten gesellschaftlichen Veranstaltung und ohne Bedeutung für mich. Er sah seinen Porträts sehr ähnlich: ein hagerer Mann mit langer, schmaler Nase, kurz geschorenem Haar und einem Durchschnittsgesicht. Er war von Natur aus ziemlich rational und pragmatisch und hatte keinen Hang zu besonderer Grausamkeit. Persönliche Eitelkeit war ihm fremd.
    Für den Ärmsten war es wirklich ein Segen, dass er nicht in die Zukunft sehen konnte – dass er keinen Schimmer hatte von dem Wahnsinn und all den Gräueln, die mit Tiberius, seinem Nachfolger, Einzug hielten und sich während der Regierungszeit weiterer Mitglieder seiner Familie noch über lange Zeit fortsetzten.
    Erst viel später erkannte ich die einzigartige Leistung der langen Herrschaft des Augustus in ihrem ganzen Ausmaß. Hatte sie nicht allen Städten des Römischen Reiches vierundvierzig Jahre Frieden gebracht?
    Ach, in dieser Epoche geboren zu sein bedeutete, in einer Epoche der Kreativität und Prosperität geboren zu sein, in der Rom caput mundi beziehungsweise Hauptstadt der Welt war. Und wenn ich zurückblicke, wird mir klar, welch wirkungsvolle Mischung das war, dass wir sowohl über Tradition als auch über ungeheure Summen Geldes verfügten, dass wir alte Werte und neue Macht besaßen.
    Unser Familienleben war konservativ, streng, sogar ein wenig angestaubt. Und doch hatten wir jeglichen Luxus.
    Mein Vater wurde im Laufe der Jahre noch stiller und konservativer. Er erfreute sich seiner Enkelkinder, die geboren wurden, als er noch kräftig

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