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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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gewonnen hatte und sich nach Süden bewegte, verstand ich das Vorgehen.
    Die ganze wunderschöne Südwestküste Italiens war strahlend hell erleuchtet von den zahllosen palastartigen Villen. Und auf den Felsen standen Leuchttürme.
    »Wir werden die Römische Republik nie wieder sehen«, sagte Jakob gequält, als wäre er selbst ein römischer Bürger – und ich glaube, das war er wirklich. »Aber wir haben den letzten Wunsch Eures Vaters erfüllt. Wir sind jetzt in Sicherheit.«
    Der alte Mann kam zu mir. Er nannte seinen Namen: David.
    Er entschuldigte sich wortreich dafür, dass es keine weibliche Bedienung für mich gab. Ich war die einzige Frau an Bord.
    »Ach, bitte, verbannt solche Gedanken aus eurer Seele! Warum habt ihr dieses Risiko überhaupt auf euch genommen?«
    »Wir haben jahrelang mit Eurem Vater Geschäfte gemacht«, erklärte David. »Vor einigen Jahren versenkten Piraten unsere Schiffe, doch Euer Vater übernahm unsere Schulden. Er setzte erneut Vertrauen in uns, und wir zahlten es ihm fünffach zurück. Er hat für Euch Reichtü-
    mer aufgehäuft. Sie sind alle hier zwischen den Waren, die wir mit uns führen, verstaut, als wäre es nichts.«
    Ich zog mich in die Kabine zurück und sank auf das schmale Bett nieder. Der alte Mann reichte mir mit abge-wandten Augen eine Decke.
    Allmählich wurde mir etwas klar: Ich hatte fest damit gerechnet, dass sie mich betrügen würden.
    Ich hatte keine Worte. Ich hatte keine Geste, keine Ge-fühlsregung in mir. Ich drehte den Kopf zur Wand.
    »Schlaft, Herrin«, sagte David.
    Ein Albtraum suchte mich heim, ein Traum, wie ich ihn noch nie in meinem Leben gehabt hatte. Ich war in der Nähe eines Flusses. Mich verlangte danach, Blut zu trinken. Im hohen Gras lauerte ich einem der Dorfbewohner auf, und als ich den armen Kerl erwischte, packte ich ihn bei den Schultern und senkte zwei Fangzähne in seinen Hals. Mein Mund füllte sich mit köstlichem Blut. Es war so süß und so berauschend, dass es sich nicht beschreiben ließ, selbst im Traum wusste ich das. Doch ich musste weiter. Der Mann war beinahe schon tot. Ich ließ ihn fallen. Andere, die gefährlicher waren, verfolgten mich. Und mein Leben war noch von einer weiteren schrecklichen Gefahr bedroht.
    Ich kam zu den Ruinen eines Tempels, weit vom Marschland entfernt. Hier war Wüste – im Handumdre-hen war ich vom Sumpf im Sand gelandet. Ich fürchtete mich. Der Morgen brach an. Ich musste mich verstecken.
    Ich wurde ja auch gejagt. Ich zehrte noch von dem köstlichen Blut, und ich betrat den Tempel. Das war kein Versteck! Ich lehnte mich mit dem ganzen Körper gegen die kalten Wände! Bilder waren darin eingeritzt. Aber es gab nicht die kleinste Kammer, um mich zu verbergen. Ich musste die Hügel erreichen, ehe die Sonne aufging, doch ich wusste, das schaffte ich nicht. Ich bewegte mich geradewegs auf die Sonne zu!
    Plötzlich stieg über der Hügelkuppe ein starkes, tödliches Licht auf. Es schmerzte unerträglich in den Augen.

    Sie brannten wie Feuer. »Meine Augen«, schrie ich und versuchte sie mit den Händen zu bedecken. Feuer hüllte mich ein. Ich schrie: »Amon Ra, ich verfluche dich!« Ich schrie einen weiteren Namen, von dem ich wusste, dass damit Isis gemeint war; aber dieser Name war es nicht, es war eine andere Bezeichnung für sie, die mir von den Lippen flog.
    Ich wachte auf. Kerzengerade aufgerichtet und zitternd saß ich im Bett.
    Der Traum war so deutlich gewesen wie eine Vision. Er weckte ein tiefes Echo in meinem Gedächtnis. Hatte ich schon einmal gelebt?
    Ich ging hinaus auf das Schiffsdeck. Hier war alles in bester Ordnung. Man konnte immer noch deutlich die Küstenlinie mit ihren Leuchttürmen sehen, und das Schiff folgte weiter seinem Kurs. Ich starrte auf das Meer, und ich spürte das Verlangen nach Blut.
    »Das kann doch nicht sein. Das ist ein böses Omen, ein Zerrbild meiner Trauer«, murmelte ich. Ich spürte das Feuer. Ich konnte den Geschmack des Blutes nicht verdrängen, wie natürlich, wie gut es mir vorgekommen war, wie geeignet für meinen Durst. Ich sah den verkrümmten Körper des Dörflers wieder vor mir auf der sumpfigen Erde liegen.
    Das war grauenvoll; ich konnte dem, was ich gerade erlebt hatte, nicht entrinnen. Ich war erzürnt und fühlte mich fiebrig. Jakob, der hoch gewachsene junge Hebräer, kam zu mir. Er hatte einen jungen Römer bei sich. Der hatte sich schon den ersten Bart rasiert, aber sonst wirkte er wie ein Kind mit seinem erhitzten, frischen

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