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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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verbannt, einige sogar hingerichtet. Und unsere Priester, männliche wie weibliche, wurden gekreuzigt, man hängte sie an das Holz, wie der alte römische Ausdruck dafür war, damit sie langsam und qualvoll unter den Augen aller starben.
    Mein Vater kam zu mir in mein Schlafzimmer; er trat vor den kleinen Isis-Schrein, nahm die Statue heraus und zerschmetterte sie auf dem Marmorboden. Dann bückte er sich, hob die größeren Stücke auf und zerbrach sie einzeln, bis nichts als Staub von ihr übrig blieb.
    Ich nickte.
    Ich erwartete, dass er mich wegen meiner früheren Gewohnheiten tadeln würde. Was geschehen war, hatte in mir Trauer und Entsetzen ausgelöst. Auch andere aus dem Orient stammende Kulte wurden neuerdings verfolgt. Der Kaiser war auf dem besten Weg, verschiedenen Tempeln im ganzen Reich das Recht als Heiligtum abzusprechen.
    »Der Mann will gar nicht römischer Kaiser sein«, sagte mein Vater. »Grausamkeit und Verluste haben ihn ver-bogen. Er ist stur und langweilig, und er hat schreckliche Angst um sein Leben! Jemand, der keinen Wert darauf legt, Kaiser zu sein, kann die Herrschaft nicht ausüben.
    Nicht in dieser Zeit.«
    »Vielleicht tritt er ja zurück«, murmelte ich trübsinnig.
    »Er hat den jungen General Germanicus Julius Caesar adoptiert, was ja wohl heißt, dass Germanicus auch sein Nachfolger sein soll, oder?«
    »Und was hat es damals den Thronerben des Augustus eingebracht, dass sie adoptiert waren?«, fragte mein Vater.
    »Was meinst du damit?«, wollte ich wissen.
    »Streng mal deinen Kopf an«, antwortete er. »Wir können nicht weiter so tun, als wären wir eine Republik. Wir müssen das Amt des Kaisers und die Grenzen seiner Macht definieren! Wir müssen eine Form der Nachfolge entwerfen, die nicht immer auf Mord hinausläuft.«
    Ich versuchte ihn zu beruhigen.
    »Vater, lass uns aus Rom fortgehen. Lass uns in unser Haus in der Toskana ziehen, es ist dort doch immer so schön, Vater.«
    »Genau das können wir nicht, Lydia!«, sagte er. »Ich muss hier bleiben. Ich muss loyal zu meinem Kaiser stehen. Wegen der Familie bleibt mir nichts anderes übrig.
    Ich muss im Senat erscheinen.«
    Innerhalb weniger Monate schickte Tiberius seinen jungen, gut aussehenden Neffen Germanicus Julius Caesar in die östlichen Provinzen, um ihn aus dem Blickfeld der römischen Öffentlichkeit zu verbannen. Wie ich schon erwähnt habe, hielten die Leute mit ihren Ansichten nicht hinter dem Berg.
    Germanicus wurde als Tiberius’ Nachfolger angesehen!
    Aber Tiberius’ Eifersucht auf ihn war zu groß, als dass er auf das Volk gehört hätte, das Germanicus wegen seiner siegreich erfochtenen Schlachten zujubelte. Er wollte den Mann weit weg von Rom sehen.
    Und deshalb ging dieser so charmante, verführerische junge Heerführer in den Osten, nach Syrien; er entschwand den liebevollen Blicken des römischen Volkes, dem Herzen des Imperiums, wo die Großstadtmassen das Schicksal der Welt bestimmen konnten.
    Früher oder später würde es eine weitere Kampagne im Norden des Reiches geben, so glaubten wir alle. Germanicus hatte den germanischen Stämmen beim letzten Mal schwere Niederlagen bereitet.
    Das beschrieben mir meine Brüder lebhaft beim Abendessen.
    Sie erzählten, wie sie zurückgekehrt seien, um für das grausige Massaker Rache zu üben, das der Feldherr Varus und seine Truppen im Teutoburger Wald angerichtet hatten. Sie könnten die Aufgabe endgültig erledigen, wenn sie noch einmal einberufen werden sollten, und meine Brüder würden in den Kampf ziehen. Sie entspra-chen genau dem Typ des altmodischen Patriziers, der in den Kampf ziehen würde!
    Inzwischen gingen Gerüchte um, dass die delatores, die berüchtigten Spione der Prätorianergarde, ein Drittel des Besitzes der Leute einsackten, die sie denunzierten.
    Das fand ich grässlich. Mein Vater schüttelte traurig den Kopf und sagte: »Das begann schon unter Augustus.«
    »Ja, Vater«, sagte ich, »aber damals verstand man unter Verrat das, was jemand tat, nicht das, was er sagte.«
    »Was ein Grund mehr ist, gar nichts zu sagen.« Er lehnte sich müde zurück. »Lydia, sing etwas für mich.
    Nimm die Lyra und denk dir eines deiner komischen Heldengedichte aus. Das hast du schon so lange nicht mehr getan.«
    »Ich bin viel zu alt dazu«, sagte ich in Erinnerung an die albernen, unzüchtigen Parodien, die ich früher so schnell und locker aus den Versen Homers zusammenbastelte, dass alle darüber staunten. Doch ich stürzte mich auf die Idee.

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