Anne Rice - Pandora
sagte: »Du kommst mit mir! Warum willst du denn hier bleiben?«
Und er antwortete: »Ich will als Römer in meinem Haus sterben. Und nun geh, wenn du mich liebst, meine Dich-terin, meine Sängerin, meine Denkerin. Du, meine Lydia.
Geh! Ich will, dass du mir gehorchst. Ich habe die letzte Stunde meines Lebens damit verbracht, alle Vorkehrungen für deine Rettung zu treffen! Küsse mich und gehor-che.«
Ich lief zu ihm, küsste ihn auf die Lippen, und schon führten mich die beiden Sklaven durch den Garten.
Ich kannte meinen Vater. Ich konnte mich nicht gegen seinen letzten Wunsch auflehnen. Ich wusste, dass er, ganz nach alter römischer Sitte, sich wahrscheinlich das Leben nehmen würde, ehe die kaiserlichen Agenten noch die Eingangstür aufbrachen. Als ich jedoch das Tor erreichte und die jüdischen Kaufleute mit ihrem Wagen dort stehen sah, konnte ich nicht einsteigen. Was ich erlebte, war dies:
Mein Vater hatte sich an beiden Handgelenken die Pulsadern aufgeschnitten und schritt im Kreis um die alte Feuerstelle herum, während er das Blut auf den Boden rinnen ließ. Er hatte sich tatsächlich die Pulsadern aufge-schlitzt. Und während er seine Runden drehte, wurde er immer bleicher. In seinen Augen stand ein Ausdruck, den ich erst viel später verstand.
Dann hörte ich lautes Krachen. Die Eingangstür wurde eingeschlagen. Mein Vater blieb stehen. Und zwei der Prätorianer gingen auf ihn los, einer machte höhnische Bemerkungen: »Warum erledigst du dich nicht selbst, Maximus, und ersparst uns die Mühe. Mach schon.«
»Ihr könnt stolz auf euch sein!«, sagte mein Vater.
»Feiglinge! Ihr bringt wohl gern ganze Familien um? Wie viel Geld bekommt ihr dafür? Habt ihr je in einer echten Schlacht gekämpft? Kommt her, sterbt gemeinsam mit mir!«
Er wandte ihnen den Rücken, drehte sich blitzschnell um und brachte die beiden, die sich auf ihn stürzen wollten, mit unvorhergesehenen Schwert- und Dolchstößen zu Fall. Er durchbohrte sie mehrmals.
Mein Vater schwankte, als würde er ohnmächtig. Er war kalkweiß. Immer noch strömte das Blut von seinen Handgelenken. Er verdrehte die Augen.
Irrwitzige Gedanken schossen mir durch den Kopf. Wir müssen ihn in den Wagen tragen! Doch ein Römer wie mein Vater hätte das niemals zugelassen.
Plötzlich ergriffen die Juden, ein junger und ein älterer, mich an den Armen und trugen mich fort.
»Ich habe geschworen, Euch zu retten«, sagte der Ältere. »Und Ihr werdet mich gegenüber meinem alten Freund nicht zum Wortbrüchigen machen.«
»Lasst mich los«, flüsterte ich, »ich will bis zum Ende bei ihm sein.«
Ich stieß sie, die mich mit höflicher Scheu behandelten, von mir, drehte mich um und sah von weitem die Leiche meines Vaters neben der Feuerstelle liegen. Er hatte sich mit seinem Dolch den Todesstoß gegeben.
Ich schloss die Augen und presste mir die Hände auf den Mund, als die beiden mich in den Wagen warfen. Ich fiel zwischen weiche Kissen und Stoffballen und wurde hin und her geschleudert während der Wagen ganz langsam die kurvige Straße des Palatins hinunterrollte.
Soldaten riefen uns fluchend zu, dass wir den Weg frei machen sollten.
Der ältere Jude sagte: »Ich bin fast taub, Herr, was habt Ihr gesagt?«
Das hatte die gewünschte Wirkung. Sie ritten an uns vorbei. Der Jude wusste genau, was er tat. Als der Trupp an uns vorbeipreschte, blieb er bei dem langsamen Schritttempo, das er eingeschlagen hatte.
Der Jüngere kam nach hinten zu mir in den Wagen und stellte sich vor: »Ich bin Jakob.« Dann fügte er hinzu:
»Werft diese weißen Umhänge über, damit seht Ihr wie eine Frau aus dem Osten aus. Wenn man Euch am Stadttor befragen will, haltet Euch Euren Schleier vor das Gesicht, und tut so, als ob Ihr nichts verstündet.«
Wir passierten die Tore Roms erstaunlicherweise ohne Schwierigkeiten. Es hieß nur: »Heil, David und Jakob, hattet ihr eine gute Fahrt?«
Man brachte mich an Bord eines großen Handelsschif-fes mit Galeerensklaven und Segeln – ein ganz gewöhnliches Schiff – und dann in ein karges, holzverkleidetes Kämmerchen.
»Mehr können wir Euch nicht bieten«, sagte Jakob.
»Aber wir segeln sofort.« Er hatte lang herabhängende, wellige braune Haare und einen Bart. Seine gestreiften Gewänder reichten ihm bis auf die Füße.
»Im Dunkeln?«, fragte ich. »Ihr legt im Dunkeln ab?«
Das war ungewöhnlich.
Aber als wir ausliefen, als die Ruder ins Wasser tauchten und das Schiff den richtigen Abstand zur Küste
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