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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Diese Nacht ist mir noch so deutlich in Erinnerung, dass ich mich im Augenblick gar nicht von meiner Erzählung losreißen kann, obwohl mir klar ist, welches Leid ich dabei bekennen und erforschen muss.
    Was bedeutet Schreiben? David, du wirst diese Frage immer wieder hier finden, weil ich mit jeder Seite mehr verstehe: Ich erkenne die mir bisher verborgen gebliebe-nen Vorbilder, die mich dazu gebracht haben, zu träumen anstatt zu leben.
    In jener Nacht dachte ich mir ein wirklich komisches Epos aus, das meinen Vater zum Lachen brachte. Er schlief auf seinem Ruhebett ein. Und dann sprach er wie in Trance: »Lydia, verbringe nicht dein ganzes Leben um meinetwillen allein. Heirate aus Liebe! Du darfst nicht aufgeben!«
    Als ich mich zu ihm umdrehte, waren seine Atemzüge schon wieder ganz regelmäßig.
    Zwei Wochen oder vielleicht auch einen Monat später fand unser gemeinsames Leben ein abruptes Ende.
    Als ich eines Tages heimkehrte, fand ich das Haus leer bis auf zwei zu Tode erschrockene alte Sklaven – Männer, die eigentlich zum Haushalt meines Bruders Antonius gehörten –, sie ließen mich ein und verrammelten hastig die Tür hinter mir.
    Ich schritt durch das weite Vestibül, durchs Peristyl und betrat das Speisezimmer. Dort bot sich mir ein erstaunlicher Anblick.
    Vor mir stand mein Vater in vollständiger Rüstung, bewaffnet mit Schwert und Dolch, nur der Schild fehlte.
    Selbst seinen roten Umhang hatte er angelegt. Die Brustplatte seines Panzers war auf Hochglanz poliert.
    Er starrte zu Boden, und das nicht ohne Grund. Der Boden war aufgerissen. Die alte Feuerstelle, die seit Generationen bestand, war ausgegraben worden. Das hier war der erste Raum des Hauses, das aus Roms frühe-sten Tagen stammte. Um diese Feuerstelle hatte sich einst die Familie versammelt, hatte gebetet und gespeist.

    Ich hatte die Herdstelle nie gesehen. Wir hatten die Schreine mit unseren Hausgöttern, ja, aber das hier –
    dieses riesige Rund aus verkohlten Steinen! Selbst Asche war noch darin, unbedeckte Asche. Wie unheilvoll und heilig zugleich kam es mir vor.
    »Was, im Namen der Götter, geht hier vor?«, fragte ich.
    »Wo sind die andern alle?«
    »Sie sind fort«, antwortete mein Vater. »Ich habe die Sklaven freigelassen, ihnen ihre Habe mitgegeben und sie fortgeschickt. Ich habe nur noch auf dich gewartet. Du musst auf der Stelle fort von hier!«
    »Nicht ohne dich!«
    »Du wirst mir doch den Gehorsam nicht verweigern, Lydia.« Nie zuvor hatte ich einen solch flehenden und gleichzeitig würdevollen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen. »Draußen steht ein Wagen bereit, der dich zur Küste bringen wird, und ein jüdischer Kaufmann, ein sehr getreuer Freund von mir, wird dich per Schiff aus Italien fortbringen! Ich will, dass du gehst! Dein Vermögen ist schon an Bord des Schiffes. Deine Kleider. Alles. Ich traue diesen Männern. Aber nimm auf jeden Fall diesen Dolch mit dir.«
    Er nahm einen Dolch von dem Tisch neben ihm und reichte ihn mir. »Du hast bei deinen Brüdern oft genug gesehen, wie man ihn benutzt«, sagte er dabei, »und nimm dies hier.« Er langte nach einem Beutel. »Darin ist Gold, die Währung, die in aller Welt Geltung hat. Steck es ein und geh.«
    Einen Dolch trug ich sowieso immer bei mir, in einer Schlinge am Unterarm, aber ich konnte meinen Vater gerade in diesem Moment nicht damit schockieren, also schob ich seinen Dolch einfach in meinen Gürtel und nahm die Börse entgegen.
    »Vater, ich habe keine Angst, zu dir zu halten! Wer hat sich gegen uns gewandt? Vater, du bist ein römischer Senator! Welchen Vergehens man dich auch anklagt, du hast Anspruch auf eine Verhandlung vor dem Senat.«
    »Ach, meine teure, gescheite Tochter! Glaubst du denn, dass der berüchtigte Sejanus und seine delatores ihre Vorwürfe öffentlich machen? Seine Späher sind schon längst über deine Brüder nebst Ehefrauen und Kindern hergefallen. Das hier sind die Sklaven von Antonius. Er schickte sie, damit sie uns warnen, während er noch kämpfte und starb. Er musste zusehen, wie man seinen Sohn an der Wand zerschmetterte. Lydia, geh!«
    Natürlich wusste ich, dass das ein römischer Brauch war – die ganze Familie auszulöschen, sowohl die Gemahlin als auch die Kinder des Verurteilten zu ermorden.
    Selbst das Gesetz schrieb es vor. Und bei Angelegenheiten wie dieser, wenn bekannt wurde, dass der Kaiser jemandem seine Gunst entzogen hatte, konnte jeder persönliche Feind den bestellten Mördern noch zuvorkommen.
    Ich

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