Annie und der sinnliche Italiener
eingebracht, der keine Gnade walten ließ – nichts und niemandem gegenüber.
Nur noch ein einziger Gedanke bewegte Annie. Sie musste hier raus! Und am besten rannte sie gleich ohne Verzug weiter bis ans Ende der Welt!
Doch anstatt ihrem gesunden Fluchtinstinkt zu folgen, saß sie wie erstarrt da, unfähig den Blick von Lucs dunklen, harten Zügen abzuwenden. Instinktiv legte sie eine Hand auf ihr wild hämmerndes Herz und atmete ein paar Mal konzentriert ein und aus. Mit äußerster Willenskraft schaffte sie es schließlich, sich zu erheben, fiel aber auf den Sitz zurück, als sie unverhofft Lucs Blick begegnete, der sich angesichts ihres durchsichtigen Manövers verdunkelte. Jetzt hob er auch noch mokant eine Braue, während um seinen Mund ein spöttisches Lächeln spielte.
Verflixt!
Trotzig verschränkte sie die Arme über der Brust. Auf keinen Fall wollte sie sich ihre Unsicherheit und Verstörtheit anmerken lassen!
Luc wartete noch unbemerkt im Hintergrund, als er Annie in letzter Sekunde in den Vortragsraum schlüpfen und in der hintersten Reihe Platz nehmen sah. Wie bereits am Morgen trug sie das nüchterne schwarze Businesskostüm, nur diesmal mit einer cremefarbenen statt einer weißen Seidenbluse. Das leuchtende Haar hatte sie locker im Nacken zusammengenommen.
Ihm entging auch nicht, dass sie unaufmerksam und abgelenkt wirkte, bis … ja, bis sein Vorredner ihn als Gastreferenten ankündigte, und Annie vage interessiert hochschaute. In der Sekunde, als sie ihn erkannte, lösten sich ihre Züge förmlich auf. Die blauen Augen weiteten sich in sichtbarer Panik, das Gesicht verlor jede Farbe, nur um im nächsten Moment von heißer Röte überzogen zu werden. Und wenn er sich nicht täuschte, hatte sogar ihre volle Unterlippe bedenklich gezittert.
Ihr erster klarer Gedanke galt offensichtlich einer sofortigen Flucht. Doch als sie seinem Blick begegnete und sich ertappt fühlte, lehnte sie sich mit verschränkten Armen in ihrem Sitz zurück und fixierte ihn wie ein seltenes Insekt unterm Mikroskop. Wahrscheinlich mit der Absicht, ihn auf diese Weise zu entnerven. Oder, um ihm heimzuzahlen, dass er sie mit seinem unerwarteten Erscheinen auf dem Rednerpult verstört hatte.
Luc atmete tief durch. Glücklicherweise war er nicht der Mann, der sich von einem durchdringenden leuchtend blauen Augenpaar aus der Ruhe bringen ließ …
„Unser Gastredner hat den dringenden Wunsch geäußert, Ihnen persönlich vorgestellt zu werden, Anna“, meldete sich Daniel Russel dicht hinter Annie, als sie sich nach Ende des Kurses klammheimlich aus dem Saal stehlen wollte.
Eine volle Stunde lang hatte sie Lucs Ausführungen gelauscht und noch eine weitere Stunde still gesessen, während er geduldig die Fragen der Seminarteilnehmer beantwortete. Die Zeit war ihr wie eine Ewigkeit erschienen.
Jetzt wollte sie sich nur noch in die Privatsphäre ihres Hotelzimmers flüchten, um ihre aufgescheuchten Gedanken zu sortieren. Weg von Luc … oder Luca und dem spöttischen Blick seiner nachtschwarzen Augen, die er den ganzen Nachmittag über immer wieder auf sie gerichtet hatte.
Völlig unvorbereitet mit seiner wahren Identität konfrontiert zu werden, drohte Annie den Boden der kleinen, fast heilen Welt zu entziehen, die sie sich nach ihrer Rückkehr aus Italien vor viereinhalb Jahren mühsam aufgebaut hatte.
Jetzt wappnete sie sich innerlich, bevor sie sich umwandte, um den schwerreichen Inhaber einer weltweiten Luxushotelkette und Veranstalter des Marketingseminars anzulächeln, den sie bereits von früheren Geschäftstreffen kannte, zu denen sie ihren Vater begleitet hatte.
„Schön, Sie einmal wiederzusehen, Daniel“, begrüßte sie ihn herzlich und ignorierte Luc, während sie die Hand des jovialen grauhaarigen Mannes schüttelte.
„Geht mir genauso“, versicherte Daniel Russell mit warmer Stimme. „Anna, ich freue mich, Ihnen Luca di Salvatore vorstellen zu dürfen“, verkündete er sichtlich stolz. „Luca, darf ich Sie mit einem wichtigen Mitglied im Team von Balfour Enterprises bekannt machen? Miss Anna Balfour.“
Lucs höfliches Lächeln war wie weggewischt. „Balfour?“ , echote er ungläubig.
Daniel lachte leise. „So ist es, eine von Oscar Balfours zahllosen Töchtern“, erklärte er mit mindestens ebenso viel Genugtuung in der Stimme wie zuvor.
Töchter, von denen Luc zweifellos gehört oder eher in der Yellow-Press gelesen hatte, wie Annie seinem abschätzigen Blick und der grimmigen Miene
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