Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
Dunkelheit auf, jede mit irgendeinem Mordwerkzeug bewaffnet.
»Lauft«, ruft Helen.
Leicht gesagt, mit zwei gesunden Beinen. Doch wenn dein linker Fußknöchel ein surrealistisches Kunstwerk ist, kannst du das vergessen.
»Ich helfe Andy«, sagt Rita und wechselt auf meine linke Seite. »Vorwärts, ihr drei.«
Das muss man Walter und Jerry nicht zweimal sagen, sie rennen los. Helen zögert noch einen Moment, dann folgt sie ihnen; mit ihren kurzen Beinen ist sie schneller, als ich es einem fünfundfünfzigjährigen Zombie zugetraut hätte.
Rita legt mir den Arm um die Taille und meinen rechten um ihren Hals. »Bereit?«
Ich würde gerne so viel Mut aufbringen, ihr zu sagen, dass sie mich zurücklassen soll. Doch ich bin froh, dass ich nicht sprechen kann, denn es tut gut, wie sie mich berührt, ihren Arm um mich legt und ihren Körper gegen meinen presst. Das ist sehr viel angenehmer, als ganz allein zerstückelt zu werden. Also nicke ich.
Zunächst geht es nur langsam vorwärts, aber als Jerry, Walter und Helen gerade das obere Ende der Gasse erreichen, haben wir unseren Rhythmus gefunden, und es scheint, als kämen wir gut voran. Doch dann werfe ich einen Blick über die Schulter und sehe, dass die Verbindungstypen knapp einen Block hinter uns sind.
»Arrrgh«, sage ich, um Rita zu warnen.
Ihr Gejohle und Geschrei hallt die Gasse herunter, während die Schritte auf dem Asphalt unaufhaltsam und bedrohlich näher kommen. Rita und ich stolpern weiter auf das Ende der Gasse zu, wie das letzte Teilnehmerpaar beim Dreibeinlaufen, das versucht, die Ziellinie zu überqueren. Nur dass wir dabei nicht lachen.
Und uns niemand anfeuert.
Und wenn wir zu Boden gehen, wird man über uns herfallen und uns verstümmeln.
Wir haben das letzte Gebäude hinter uns gelassen, und ich hoffe, wir finden irgendein Versteck, irgendeine Möglichkeit, unsere Verfolger abzuschütteln, als vor uns eine Gestalt auftaucht.
»Macht schon!«, sagt Jerry und scheucht mich zusammen mit Rita auf die Seite des Gebäudes zu einem Müllcontainer. »Wir müssen dich da reinhieven. Beeilung!«
Rita und Jerry hieven mich hoch, über den Rand des Containers hinweg, bis ich mit dem Gesicht voran in etwas Weiches und Klebriges falle, das beim Aufprall zerplatzt.
»Rühr dich nicht von der Stelle«, sagt Jerry. »Wir kommen zurück, um dich zu holen.«
Als ob ich die Wahl hätte.
Ich lausche, wie Jerry und Rita davonlaufen, dann mache ich es mir in der warmen, klebrigen Masse, die mir ins Gesicht gespritzt ist, gemütlich. Sie fühlt sich an wie Kleber und riecht nach Motoröl. So habe ich mir meinen Dienstagabend eigentlich nicht vorgestellt.
Keine zehn Sekunden später biegen Schritte um die Ecke des Gebäudes, nähern sich dem Müllcontainer und entfernen sich in Jerrys und Ritas Richtung. Zumindest die meisten. Denn einer der Verbindungstypen bleibt direkt vor dem Container stehen.
Wenn dein Herz nicht mehr schlägt und kein Adrenalin durch deinen Organismus jagt, bist du in Stresssituationen seltsam gelassen. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich keine Angst habe, gefunden zu werden. Ich spüre nur nicht wie früher die körperlichen Folgen der Angst. Es ist mehr wie eine Erinnerung daran. Und im Moment sagt mir meine Erinnerung, dass ich ganz schön im Arsch bin.
Helen findet, dass jeder von uns eine Möglichkeit finden sollte, auf kreative Weise mit seinen Gefühlen und seiner Hoffnungslosigkeit umzugehen, quasi als eine Art Kunsttherapie, um die Herausforderungen zu bewältigen, die das Dasein als Untoter mit sich bringt; wir können malen, bildhauern oder Gedichte schreiben. Die Idee dahinter ist, etwas Schönes zu erschaffen, mit dem wir unsere wenig glamouröse Existenz transzendieren.
Ich habe früher immer Gebrauchs-Haikus geschrieben, um meine rechte Gehirnhälfte zu trainieren. Ich habe keine Ahnung, ob das überhaupt was bringt, wenn man bedenkt, dass mein Gehirn sich allmählich auflöst, doch selbst wenn man stirbt, sterben nicht die alten Gewohnheiten.
Während ich also hier im Container liege, beschmiert mit Maschinenöl, und über Verstümmelung und giftigen Müll nachdenke, fällt mir dieses Stück transzendenter Schönheit ein:
Leben am Faden
Kaputte Stimme voll Schmerz
Innerlich verfault
Nach ein paar Minuten ist überhaupt nichts mehr zu hören, und schließlich rolle ich mich auf die Seite und wische mir das klebrige Zeug aus den Augen, um durch die
geöffnete Klappe einen Blick nach draußen zu werfen.
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