Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
fanden die Neurophysiologen heraus, dass eine der Nervenzellen im Gehirn eine Doppelfunktion besitzt. Die Zelle regt sich nicht nur dann, wenn der Affe eine Greifbewegung plant und ausführt, sondern auch, wenn er sieht, dass sich ein anderer Affe entsprechend gleich verhält. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Spiegelneurone, die die Handlung eines anderen so spiegeln, als ob es meine eigene wäre. Es stellte sich heraus, dass diese Spiegelneurone auch helfen, zu erkennen, warum ein anderer eine bestimmte Bewegung ausführt. Spiegelneurone in den Gehirnen von Affen können auch dann schon feuern, wenn ein Affe nur ahnt, dass sein Gegenüber eine Greifbewegung ausführen wird – das grenzt schon an Gedankenlesen.
Einige Jahre später fanden Forscher heraus, dass es diese Spiegelneurone nicht nur bei Affen, sondern auch bei Menschen gibt: Bei Menschen jedoch reagieren die Spiegelneurone nicht nur auf Bewegung, sondern auch auf Emotionen. Versuchsteilnehmern wurde eine Videoaufnahme von Menschen gezeigt, die an einer stinkenden Substanz rochen und dabei die Nase rümpften.
Auch die Testpersonen rümpften die Nase, und das entsprechende Zentrum im limbischen System, die Insulae wurde erregt. Dass Menschen das Verhalten ihrer Mitmenschen spiegeln, dass sie sich in andere hineinversetzen können, ist also fest im Gehirn angelegt. Damit sind die Spiegelneurone bei Menschen viel mehr als nur ein Spiegel: Mit ihrer Hilfe erleben wir fremdes Leid und fremde Freude so, als wären es unsere eigenen Gefühle. Wir sind damit in der Lage, uns in andere hineinfühlen zu können.
So können wir uns nicht nur in die Lage anderer versetzen, sondern auch die Gedanken- und Gefühlswelt unserer Mitmenschen bleibt uns nicht verschlossen. Das funktioniert nicht nur im direkten Kontakt unter Menschen, sondern auch bei Film und Fernsehen. Stellen wir uns vor, wir sitzen im Kino, eine Tüte Popcorn auf dem Schoß und eine Dose Cola in der Hand. Das Licht geht aus und nach der Werbung, die uns meist unendlich lang vorkommt, geht es los: »Dirty Dancing«. Ich weiß nicht, wie viele Mädchen oder Frauen sich schon als »Baby« gefühlt haben, und wie viele Tränen dabei vergossen wurden und immer noch vergossen werden.
Wir können uns meist nicht dagegen wehren, bei diesen romantischen Kassenschlagern zu weinen. Denn diese Art der Einfühlung und emotionalen Ansteckung passiert automatisch und ist kein Anzeichen für fehlende emotionale Reife – im Gegenteil.
Menschen, die bei solchen Kinoerfolgen weinen, verfügen meist über ein hohes Maß der so oft beschworenen sozialen Intelligenz. Soziale Intelligenz bezeichnet nichts anderes als die Fähigkeit, sich in sein Gegenüber hineinversetzen zu können. Je vertrauter uns die Person ist, je besser wir diesen Menschen kennen, desto mehr gelingt es uns, deren Weltbild und deren Perspektive einnehmen und verstehen zu können.
Diese vertrauten Menschen, die wir sehr gut kennen, sind meist entweder mit uns verwandt oder befreundet, was sich nicht ausschließen muss. Das Besondere an uns als Freund oder Freundin ist nun, dass wir zwar die Perspektive des Freundes einnehmen können, aber trotzdem eine natürliche Distanz zur anderen Person haben. Wir alle kennen das: Bei unseren Freunden können wir Dinge, Zusammenhänge, Strukturen und Probleme ganz klar erkennen. Und oft wissen wir auch ganz genau, was in der jeweiligen Situation zu tun ist. Gleichzeitig wundern wir uns: »Warum sieht er das nicht?« Seltsamerweise denken unsere Freunde über uns wahrscheinlich genau dasselbe. Bei uns selbst können wir Probleme oft nicht einmal erkennen, weil wir nicht die nötige Distanz zu uns selbst haben. Oft heißt es dann: »Geh mal einen Schritt zurück und schau es dir noch mal an.« Aber wie geht das? Ich werde mich selbst ja niemals los. Zu einzelnen Situationen oder zu einzelnen Problemen gelingt es mir vielleicht, Abstand zu bekommen – aber niemals zu meinem Selbst als Ganzem.
Wahrscheinlich ist es deshalb so wichtig, Menschen zu haben, die eine andere Perspektive zu mir selbst einnehmen können. Freunde können an mir Dinge erkennen, die ich so niemals sehen kann. Deshalb wäre es oft ratsam, auf einen Freund zu hören. Nicht selten sind wir gekränkt, fassen Kritik negativ auf und verschließen uns damit der Möglichkeit, Dinge zu erkennen. Vielleicht sollten wir eher froh sein, aufmerksame Freunde zu haben, die sich die Mühe machen, sich mit uns auseinanderzusetzen.
Bei
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