Ansichten eines Clowns
matt war, daß ich den nahenden Untergang schon heraushörte.
Als ich mir in diesem dummen Hotel Bier aufs Zimmer bestellte, sagte der
Oberkellner so eisig am Telefon: »Jawoll, mein Herr«, als hätte ich Jauche
gewünscht, und sie brachten mir das Bier in einem Silberbecher. Ich war müde, ich wollte nur noch Bier trinken, ein bißchen Mensch-ärgere-dich-nicht spielen, ein Bad nehmen, die Abendzeitungen lesen und neben Marie einschlafen: meine rechte Hand auf ihrer Brust und mein Gesicht so nah an ihrem Kopf, daß ich den Geruch ihres Haars mit in den Schlaf nehmen konnte. Ich hatte noch den matten Applaus im Ohr.
Es wäre fast humaner gewesen, sie hätten alle den Daumen zur Erde gekehrt. Diese müde, blasierte Verachtung meiner Nummern war so schal wie das Bier in dem
dummen Silberbecher. Ich war einfach nicht in der Lage, ein weltanschauliches
Gespräch zu führen.
»Es geht um die Sache, Hans«, sagte sie, etwas weniger laut, und sie merkte nicht einmal, daß › Sache ‹ für uns eine bestimmte Bedeutung hatte; sie schien es vergessen zu haben. Sie ging vor dem Fußende des Doppelbettes auf und ab und schlug beim Gestikulieren mit der Zigarette jedesmal so präzis in die Luft, daß die kleinen Rauchwölkchen wie Punkte wirkten. Sie hatte inzwischen Rauchen gelernt, in dem lind-75
grünen Pullover sah sie schön aus: die weiße Haut, das Haar dunkler als früher, ich sah an ihrem Hals zum erstenmal Sehnen. Ich sagte: »Sei doch barmherzig, laß mich erst mal ausschlafen, wir wollen morgen beim Frühstück noch einmal über alles reden, vor allem über die Sache«, aber sie merkte nichts, drehte sich um, blieb vor dem Bett stehen, und ich sah ihrem Mund an, daß es Motive zu diesem Auftritt gab, die sie sich selbst nicht eingestand. Als sie an der Zigarette zog, sah ich ein paar Fältchen um ihren Mund, die ich noch nie gesehen hatte. Sie sah mich kopfschüttelnd an, seufzte, drehte sich wieder um und ging auf und ab.
»Ich versteh nicht ganz«, sagte ich müde, »erst streiten wir um meine Unterschrift unter dieses Erpressungsformular - dann um die standesamtliche Trauung - jetzt bin ich zu beidem bereit, und du bist noch böser als vorher.«
»Ja«, sagte sie, »es geht mir zu rasch, und ich spüre, daß du die Auseinandersetzung scheust. Was willst du eigentlich?« »Dich«, sagte ich, und ich weiß nicht, ob man einer Frau etwas Netteres sagen kann.
»Komm«, sagte ich, »leg dich neben mich und bring den Aschenbecher mit, dann
können wir viel besser reden.« Ich konnte das Wort Sache nicht mehr in ihrer
Gegenwart aussprechen. Sie schüttelte den Kopf, stellte mir den Aschenbecher aufs Bett, ging zum Fenster und blickte hinaus. Ich hatte Angst. »Irgend etwas an diesem Gespräch gefällt mir nicht - es klingt nicht nach dir!«
»Wonach denn?« fragte sie leise, und ich fiel auf die plötzlich wieder so sanfte Stimme herein.
»Sie riecht nach Bonn«, sagte ich, »nach dem Kreis, nach Sommerwild und
Züpfner - und wie sie alle heißen.«
»Vielleicht«, sagte sie, ohne sich umzudrehen, »bilden deine Ohren sich ein,
gehört zu haben, was deine Augen gesehen haben.«
»Ich versteh dich nicht«, sagte ich müde, »was meinst du.« »Ach«, sagte sie, »als ob du nicht wüßtest, daß hier Katholikentag ist.«
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»Ich hab die Plakate gesehen«, sagte ich.
»Und daß Heribert und Prälat Sommerwild hier sein könnten, ist dir nicht in den Sinn gekommen?«
Ich hatte nicht gewußt, daß Züpfner mit Vornamen Heribert hieß. Als sie den
Namen nannte, fiel mir ein, daß nur er gemeint sein konnte. Ich dachte wieder an das Händchenhalten. Mir war schon aufgefallen, daß in Hannover viel mehr katholische Priester und Nonnen zu sehen waren als zu der Stadt zu passen schien, aber ich hatte nicht daran gedacht, daß Marie hier jemand treffen könnte, und selbst wenn - wir waren ja manchmal, wenn ich ein paar Tage frei hatte, nach Bonn gefahren, und sie hatte den ganzen »Kreis« ausgiebig genießen können.
»Hier im Hotel?« fragte ich müde.
»Ja«, sagte sie.
»Warum hast du mich nicht mit ihnen zusammen gebracht?«
»Du warst ja kaum hier«, sagte sie, »eine Woche lang immer unterwegs -
Braunschweig, Hildesheim, Celle ...«
»Aber jetzt habe ich Zeit«, sagte ich, »ruf sie an, und wir trinken noch was unten in der Bar.«
»Sie sind weg«, sagte sie, »heute nachmittag gefahren.«
»Es freut mich«, sagte ich, »daß du so lange und ausgiebig ›katholische Luft‹ hast atmen
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