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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Die meisten hielten ihn für schwachsinnig, weil er fast kein Wort sprach und außer Gurken und Brot kaum etwas aß; und doch war er so stark, daß er mich und Marie auf seinen Händen wie Puppen vor sich her durchs Zimmer tragen konnte. Es gab
    noch ein paar Katholiken mit ziemlich hohem Wahrscheinlichkeitsgrad : Karl Emonds und Heinrich Behlen, auch Züpfner. Bei Marie fing ich schon an zu zweifeln: ihr
    »metaphysischer Schrecken« leuchtete mir nicht ein, und wenn sie nun hinging und mit Züpfner all das tat, was ich mit ihr getan hatte, so beging sie Dinge, die in ihren Büchern eindeutig als Ehebruch und Unzucht bezeichnet wurden. Ihr metaphysischer Schrecken bezog sich einzig und allein auf meine Weigerung, uns standesamtlich trauen, unsere Kinder katholisch erziehen zu lassen. Wir hatten noch gar keine Kinder, sprachen aber dauernd darüber, wie wir sie anziehen, wie wir mit ihnen sprechen, wie wir sie erziehen wollten, und wir waren uns in allen Punkten einig, bis auf die katholische Erziehung. Ich war einverstanden, sie taufen zu lassen. Marie sagte, ich müsse es schriftlich geben, sonst würden wir nicht kirchlich getraut. Als ich mich mit der kirchlichen Trauung einverstanden erklärte, stellte sich heraus, daß wir auch standesamtlich getraut werden mußten - und da verlor ich die Geduld, und ich sagte, wir sollten doch noch etwas warten, jetzt käme es ja wohl auf ein Jahr nicht mehr an, und sie weinte und sagte, ich verstünde eben nicht, was es für sie bedeute, in diesem Zustand zu leben und ohne die Aussicht, daß unsere

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    Kinder christlich erzogen würden. Es war schlimm, weil sich herausstellte, daß wir in diesem Punkt fünf Jahre lang aneinander vorbeigeredet hatten. Ich hatte tatsächlich nicht gewußt, daß man sich staatlich trauen lassen muß, bevor man kirchlich getraut wird. Natürlich hätte ich das wissen müssen, als erwachsener Staatsbürger und
    »vollverantwortliche männliche Person«, aber ich wußte es einfach nicht, so wie ich bis vor kurzem nicht wußte, daß man Weißwein kalt und Rotwein angewärmt serviert.
    Ich wußte natürlich, daß es Standesämter gab und dort irgendwelche
    Trauungszeremonien vollzogen und Urkunden ausgestellt wurden, aber ich dachte, das wäre eine Sache für unkirchliche Leute und für solche, die sozusagen dem Staat eine kleine Freude machen wollten. Ich wurde richtig böse, als ich erfuhr, daß man dorthin mußte, bevor man kirchlich getraut werden konnte, und als Marie dann noch davon anfing, daß ich mich schriftlich verpflichten müsse, unsere Kinder katholisch zu erziehen, bekamen wir Streit. Das kam mir wie Erpressung vor, und es gefiel mir nicht, daß Marie so ganz und gar einverstanden mit dieser Forderung nach schriftlicher Abmachung war. Sie konnte ja die Kinder taufen lassen und sie so erziehen, wie sie es für richtig hielt.
    Es ging ihr schlecht an diesem Abend, sie war blaß und müde, sprach ziemlichlaut mit mir, und als ich dann sagte, ja, gut, ich würde alles tun, auch diese Sachen unterschreiben, wurde sie böse und sagte: »Das tust du jetzt nur aus Faulheit, und nicht, weil du von der Berechtigung abstrakter Ordnungsprinzipien überzeugt bist«, und ich sagte ja, ich täte es tatsächlich aus Faulheit und weil ich sie gern mein ganzes Leben lang bei mir haben möchte, und ich würde sogar regelrecht zur katholischen Kirche übertreten, wenn es nötig sei, um sie zu behalten. Ich wurde sogar pathetisch und sagte, ein Wort wie »abstrakte Ordnungsprinzipien« erinnere mich an eine
    Folterkammer. Sie empfand es als Beleidigung, daß ich, um sie zu behalten, sogar katholisch werden wollte. Und ich hatte geglaubt, ihr auf eine Weise geschmeichelt zu haben,

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    die fast zu weit ging. Sie sagte, es ginge jetzt nicht mehr um sie und um mich, sondern um die »Ordnung«.
    Es war Abend, in einem Hotelzimmer in Hannover, in einem von diesen teuren
    Hotels, wo man, wenn man eine Tasse Kaffee bestellt, nur eine dreiviertel Tasse Kaffee bekommt. Sie sind in diesen Hotels so fein, daß eine volle Tasse Kaffee als ordinär gilt, und die Kellner wissen viel besser, was fein ist, als die feinen Leute, die dort die Gäste spielen. Ich komme mir in diesen Hotels immer vor wie in einem besonders teuren und besonders langweiligen Internat, und ich war an diesem Abend todmüde: drei Auftritte hintereinander. Am frühen Nachmittag vor irgendwelchen Stahlaktionären, nachmittags vor Lehramtskandidaten und abends in einem Variete, wo der Applaus so

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