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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Auseinandersetzungen folgte,
    machte mich ganz elend. Ich sah ihr an, daß sie viel lieber tanzen oder ins Kino gegangen wäre. Sommerwild, bei dem diese Zusammenkunft stattfand, fragte mich
    dauernd: Ist Ihnen zu heiß, Schnier, und ich sagte: Nein, Prälat, obwohl mir der Schweiß von Stirn und Wangen lief. Ich ging schließlich auf Sommerwilds Balkon, weil ich das Gerede nicht mehr ertragen konnte. Sie selbst hatte das ganze Palaver ausgelöst, weil sie - übrigens vollkommen außer dem Zusammenhang des Gesprächs, das eigentlich über Größe und Grenzen des Provinzialismus ging - gesagt hatte, sie fände einiges, was Benn geschrieben hätte, doch »ganz hübsch«. Daraufhin wurde Fredebeul, als dessen Verlobte sie galt, knallrot, denn Kinkel warf ihm einen seiner berühmten sprechenden Blicke zu: »Wie, das hast du noch nicht bei ihr in Ordnung gebracht ?« Er brachte es also selbst in Ordnung und schreinerte das arme Mädchen zurecht, indem er das ganze Abendland

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    als Hobel ansetzte. Es blieb fast nichts von dem netten Mädchen übrig, die Späne flogen, und ich ärgerte mich über diesen Feigling Fredebeul, der nicht eingriff, weil er mit Kinkel auf eine bestimmte ideologische Linie »verschworen« ist, ich weiß jetzt gar nicht mehr, ob links oder rechts, jedenfalls haben sie ihre Linie, und Kinkel fühlte sich moralisch verpflichtet, Fredebeuls Braut auszurichten. Auch Sommerwild rührte sich nicht, obwohl er die Kinkel und Fredebeul entgegengesetzte Linie vertritt, ich weiß nicht welche: wenn Kinkel und Fredebeul links sind, ist Sommerwild rechts, oder umgekehrt. Auch Marie war ein bißchen blaß geworden, aber ihr imponiert Bildung -
    das habe ich ihr nie ausreden können -, und Kinkels Bildung imponierte auch der späteren Frau Fredebeul: sie nahm mit fast schon unzüchtigen Seufzern die
    wortstarke Belehrung hin: Das ging von den Kirchenvätern bis Brecht wie ein
    Unwetter nieder, und als ich erfrischt vom Balkon zurückkam, saßen alle vollkommen erschossen da, tranken Bowle - und das ganze nur, weil das arme Ding gesagt hatte, sie fände einiges von Benn »ganz hübsch«.
    Jetzt hat sie schon zwei Kinder von Fredebeul, ist kaum zweiundzwanzig, und
    während das Telefon immer noch in ihrer Wohnung klingelte, stellte ich mir vor, wie sie irgendwo mit Babyflaschen, Puderdosen, Windeln und Cremes herumhantierte,
    vollkommen hilflos und konfus, und ich dachte an die Berge von schmutziger
    Babywäsche und das ungespülte, fettige Geschirr in ihrer Küche. Ich hatte ihr einmal, als mir die Unterhaltung zu anstrengend wurde, geholfen, Toast zu rösten,
    Schnittchen zu machen und Kaffee zu kochen, Arbeiten, von denen ich nur sagen
    kann, daß sie mir weniger widerwärtig sind als gewisse Formen der Unterhaltung.
    Eine sehr zaghafte Stimme sagte: »Ja, bitte?« und ich konnte aus dieser Stimme heraushören, daß es in Küche, Badezimmer und Schlafzimmer hoffnungsloser aussah als je. Riechen konnte ich diesmal fast nichts: nur, daß sie eine Zigarette in der Hand haben mußte.

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    »Schnier«, sagte ich, und ich hatte einen Ausruf der Freude erwartet, wie sie ihn immer tut, wenn ich sie anrufe. Ach, Sie in Bonn - wie nett - oder ähnlich, aber sie schwieg verlegen, sagte dann schwach: »Ach, nett«. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Früher hatte sie immer gesagt: »Wann kommen Sie noch einmal und führen uns was vor?« Kein Wort. Es war mir peinlich, nicht meinet-, mehr ihretwegen,
    meinetwegen war es nur deprimierend, ihretwegen war es peinlich. »Die Briefe«, sagte ich schließlich mühsam, »die Briefe, die ich Marie an Ihre Adresse schickte?«
    »Liegen hier«, sagte sie, »ungeöffnet zurückgekommen.«
    »An welche Adresse hatten Sie sie denn nachgeschickt?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie, »das hat mein Mann gemacht.«
    »Aber Sie müssen doch auf den zurückkommenden Briefen gesehen haben, welche
    Adresse er drauf geschrieben hat?«
    »Wollen Sie mich verhören?«
    »O nein«, sagte ich sanft, »nein, nein, ich dachte nur ganz bescheiden, ich könnte ein Recht haben, zu erfahren, was mit meinen Briefen geschehen ist.«
    »Die Sie, ohne uns zu fragen, hierhergeschickt haben.«
    »Liebe Frau Fredebeul«, sagte ich, »bitte, werden Sie jetzt menschlich.«
    Sie lachte, matt, aber doch hörbar, sagte aber nichts.
    »Ich meine«, sagte ich, »es gibt doch einen Punkt, wo die Menschen, wenn auch aus ideologischen Gründen — menschlich werden.«
    »Soll das heißen, daß ich mich bisher

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