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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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sofort brach ein wilder Sturm, ein Geschimpfe los. Sabine wurde
    regelrecht hysterisch und nannte mich »Mörder«, Karl schrie mich an: »Du Vagabund
    - Du Hurenbock«, und das machte mich so wild, daß ich ihn »verkrampfter Pauker«
    nannte, meinen Mantel nahm und in Zorn davonlief. Er rief mir noch in den Flur hinunter nach: »Du verantwortungsloser Lump«, und ich schrie in den Flur hinauf:
    »Du hysterischer Spießer, du elender Steißtrommler.« Ich habe Kinder wirklich gern, kann auch ganz gut mit ihnen umgehen, besonders mit Säuglingen, ich kann mir
    nicht denken, daß ein Ei einem einjährigen Kind schadet, aber daß Karl mich ›Hurenbock ‹ genannt hatte, kränkte mich mehr als Sabines ›Mörder‹. Schließlich kann man einer erregten Mutter einiges zubilligen und verzeihen, aber Karl wußte genau, daß ich kein Hurenbock war. Unser Verhältnis war auf eine idiotische Weise gespannt, weil er meine »freie Lebensweise« im Grunde seines Herzens »großartig« fand und mich seine spießige im Grunde meines Herzens anzog. Ich konnte ihm nie klar
    machen, aufweiche fast tödliche Weise regelmäßig mein Leben war, wie pedantisch es ablief mit Bahnfahrt, Hotel, Training, Auftritt, Mensch-ärgere-dich-nicht-spielen und Biertrinken - und wie mich das Leben, das er führte, gerade wegen seiner Spießigkeit anzog. Und er dachte natürlich, wie alle, daß wir absichtlich keine Kinder bekämen, Maries Fehlgeburten waren ihm »verdächtig«; er wußte nicht, wie gern wir Kinder gehabt hätten. Ich hatte trotz allem telegrafisch um einen Anruf gebeten, würde ihn aber nicht anpumpen. Er hatte inzwischen vier Kinder und kam nur sehr schlecht mit dem Geld hin.
    Ich spritzte die Wanne noch einmal ab, ging leise in die
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    Diele und blickte in die offene Wohnzimmertür. Mein Vater stand wieder mit dem Gesicht zum Tisch und weinte nicht mehr. Mit seiner roten Nase, den feuchten,
    faltigen Wangen, sah er wie irgendein alter Mann aus, fröstelnd, auf eine überraschende Weise leer und fast dumm. Ich goß ihm ein bißchen Kognak ein, brachte ihm das Glas. Er nahm es und trank. Der überraschend dumme Ausdruck auf seinem Gesicht blieb, die Art, wie er sein Glas leerte, es mir stumm, mit einem hilflosen Flehen in den Augen hinhielt, hatte fast etwas Trotteliges, das ich noch nie an ihm gesehen hatte. Er sah aus wie jemand, der sich für nichts, nichts mehr wirklich interessiert, nur noch für Kriminalromane, eine bestimmte Weinmarke und dumme Witze. Das
    zerknautschte und feuchte Taschentuch hatte er einfach auf den Tisch gelegt, und ich empfand diesen für ihn enormen Stilfehler als einen Ausdruck von Bockigkeit - wie bei einem unartigen Kind, dem schon tausendmal gesagt worden ist, daß man
    Taschentücher nicht auf den Tisch legt. Ich goß ihm noch etwas ein, er trank und machte eine Bewegung, die ich nur deuten konnte als »Bitte, hol mir meinen Mantel«.
    Ich reagierte nicht darauf. Ich mußte ihn irgendwie wieder auf Geld bringen. Es fiel mir nichts besseres ein als meine Mark aus der Tasche zu nehmen und mit der Münze ein bißchen zu jonglieren: ich ließ sie an meinem nach oben ausgestreckten rechten Arm herunterrollen — dann denselben Weg zurück. Seine Amüsiertheit über diesen Trick wirkte ziemlich gequält. Ich warf die Mark hoch, fast bis an die Decke, fing sie wieder auf- aber er wiederholte nur seine Geste: »Bitte, meinen Mantel.« Ich warf die Mark noch einmal hoch, fing sie auf dem dicken Zeh meines rechten Fußes auf und hielt sie hoch, ihm fast unter die Nase, aber er machte nur eine ärgerliche Bewegung und brachte ein knurriges »Laß das« zustande. Ich ging achselzuckend in die Diele, nahm seinen Mantel, seinen Hut von der Garderobe. Er stand schon neben mir, ich half ihm, hob die Handschuhe auf, die aus seinem Hut gefallen waren, und gab sie ihm. Er war wieder nahe am Weinen, machte irgendwelche komi-174
    schen Bewegungen mit Nase und Lippen und flüsterte mir zu: »Kannst du mir nicht auch was Nettes sagen?«
    »Doch«, sagte ich leise, »es war nett von dir, daß du mir die Hand auf die Schulter gelegt hast, als diese Idioten mich verurteilten - und es war besonders nett, daß du Frau Wieneken das Leben gerettet hast, als der schwachsinnige Major sie erschießen lassen wollte.«
    »Ach«, sagte er, »das hatte ich alles schon fast vergessen.«
    »Das ist besonders nett«, sagte ich, »daß du's vergessen hast - ich hab's nicht vergessen.«
    Er sah mich an und flehte stumm, nicht Henriettes

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