Ansichten eines Clowns
Frau, Hans«, sagte sie, sie weinte jetzt offen,
»für ein käufliches Wesen, wie es so viele gibt. Sie müssen mich ja dafür halten. Oh.«
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»Keine Spur«, sagte ich laut, »ich habe Sie noch nie dafür gehalten - wirklich nicht.« Ich hatte Angst, sie könne von ihrer Seele und der Seele meines Vaters anfangen, ihrem heftigen Schluchzen nach zu urteilen, war sie ziemlich sentimental, und es war nicht ausgeschlossen, daß sie sogar von Marie anfangen würde.
»Tatsächlich«, sagte ich, nicht ganz überzeugt, denn daß sie die käuflichen Wesen so verächtlich zu machen versuchte, kam mir verdächtig vor, »tatsächlich«, sagte ich,
»bin ich immer von Ihrem Edelmut überzeugt gewesen und habe nie schlecht von
Ihnen gedacht.« Das stimmte. »Und außerdem«, ich hätte sie gern noch einmal ange-redet, brachte aber das scheußliche Bela nicht über die Lippen, »außerdem bin ich fast dreißig. Hören Sie noch ?«
»Ja«, seufzte sie und schluchzte da hinten in Godesberg herum, als ob sie im
Beichtstuhl hockte.
»Versuchen Sie nur, ihm beizubringen, daß ich Geld brauche.«
»Ich glaube«, sagte sie matt, »es wäre falsch, mit ihm direkt darüber zu sprechen.
Alles, was seine Familie betrifft - Sie verstehen, ist für uns tabu - aber es gibt einen anderen Weg.« Ich schwieg. Ihr Schluchzen hatte sich wieder zu schlichtem
Schnüffeln gemildert. »Er gibt mir hin und wieder Geld für notleidende Kollegen«, sagte sie, »er läßt mir da völlig freie Hand, und - und glauben Sie nicht, es wäre angebracht, wenn ich Sie als im Augenblick notleidenden Kollegen in den Nutzen dieser kleinen Summen bringe?«
»Ich bin tatsächlich ein notleidender Kollege, nicht nur für den Augenblick, sondern für mindestens ein halbes Jahr. Aber bitte, sagen Sie mir, was Sie unter kleine Summe verstehen.«
Sie hüstelte, gab noch ein Oh von sich, das aber unkoloriert blieb und sagte: »Es sind meistens Zuschüsse in ganz konkreten Notsituationen, wenn jemand stirbt,
krank wird, eine Frau ein Kind kriegt - ich meine, es handelt sich nicht um
Dauerunterstützungen, sondern um sogenannte Beihilfen.«
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»Wie hoch?« fragte ich. Sie antwortete nicht sofort, und ich versuchte, sie mir vorzustellen. Ich hatte sie vor fünf Jahren einmal gesehen, als es Marie gelang, mich in eine Oper zu schleppen. Frau Brosen hatte die Partie eines von einem Grafen verführten Bauernmädchens gesungen, und ich hatte mich über Vaters Geschmack gewundert. Sie war eine mittelgroße, recht kräftige Person, offenbar blond und mit dem obligatorisch wogenden Busen, die an einer Kate, an einem Bauernwagen angelehnt, zuletzt auf eine Heugabel gestützt, mit einer schönen kräftigen Stimme einfache Gemütsbewegungen zum besten gab.
»Hallo?« rief ich, »hallo?«
»Oh«, sagte sie, und es gelang ihr wieder eine, wenn auch schwache Koloratur.
»Ihre Frage ist so direkt.«
»Es entspricht meiner Situation«, sagte ich. Mir wurde bange. Je länger sie
schwieg, desto kleiner würde die Summe werden, die sie nannte.
»Na«, sagte sie schließlich, »die Summen schwanken zwischen zehn und etwa
dreißig Mark.«
»Und wenn Sie einen Kollegen erfinden würden, der in eine ganz außergewöhnlich schwierige Situation geraten ist: sagen wir, einen schweren Unfall erlitten hat und für einige Monate etwa einhundert Mark Zuschuß vertragen kann?«
»Mein Lieber«, sagte sie leise, »Sie erwarten doch von mir nicht, daß ich
schwindele?«
»Nein«, sagte ich, »ich habe wirklich einen Unfall erlitten - und sind wir nicht letztlich Kollegen? Künstler?«
»Ich will's versuchen«, sagte sie, »aber ich weiß nicht, ob er anbeißt.«
»Was?« rief ich.
»Ich weiß nicht, ob es gelingen wird, die Sache so auszumalen, daß es ihn
überzeugt. Ich habe nicht viel Phantasie.«
Das hätte sie gar nicht zu sagen brauchen, ich fing schon an, sie für das dümmste Weibsstück zu halten, mit dem ich je zu tun gehabt hatte.
»Wie wärs denn«, sagte ich, »wenn Sie versuchen würden,
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mir ein Engagement zu besorgen, am Theater hier - Nebenrollen natürlich, Chargen kann ich gut spielen.«
»Nein, nein, mein lieber Hans«, sagte sie, »ich finde mich ohnehin in diesem
Intrigenspiel nicht zurecht.«
»Na gut«, sagte ich, »ich will Ihnen nur noch sagen, daß auch kleine Summen
willkommen sind. Auf Wiedersehen und vielen Dank.« Ich legte auf, bevor sie noch etwas hätte sagen können. Ich hatte das dunkle Gefühl, daß aus dieser Quelle nie
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