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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Namen zu nennen, und ich nannte Henriettes Namen nicht, obwohl ich vorgehabt hatte, ihn zu fragen, warum er nicht so nett gewesen war, ihr den Schulausflug zur Flak zu verbieten. Ich nickte, und er verstand: Ich würde nicht von Henriette sprechen. Sicher saß er während der
    Aufsichtsratssitzungen da, kritzelte Männchen aufs Papier und manchmal ein H,
    noch eins, manchmal vielleicht sogar ihren vollen Namen: Henriette. Er war nicht schuldig, nur auf eine Weise dumm, die Tragik ausschloß oder vielleicht die
    Voraussetzung dafür war. Ich wußte es nicht. Er war so fein und zart und silber-haarig, sah so gütig aus und hatte mir nicht einmal ein Almosen geschickt, als ich mit Marie in Köln war. Was machte diesen liebenswürdigen Mann, meinen Vater, so hart und so stark, warum redete er da am Fernsehschirm von gesellschaftlichen
    Verpflichtungen, von Staatsbewußtsein, von Deutschland, sogar von Christentum, an das er doch nach eignem Geständnis gar nicht glaubte, und zwar so, daß man
    gezwungen war, ihm zu glauben? Es konnte doch nur das Geld sein, nicht das
    konkrete, mit dem man Milch kauft und Taxi fährt, sich eine Geliebte hält und ins Kino geht - nur das abstrakte. Ich hatte Angst vor ihm, und er hatte Angst vor mir: wir wußten beide, daß wir keine Realisten waren, und wir verachteten beide die, die von »Realpolitik« sprachen. Es ging um mehr, als diese Dummköpfe je verstehen
    würden. In sei-
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    nen Augen las ich es: er konnte sein Geld nicht einem Clown geben, der mit Geld nur eins tun würde: es ausgeben, genau das Gegenteil von dem, was man mit Geld tun mußte. Und ich wußte, selbst wenn er mir eine Million gegeben hätte, ich hätte sie ausgegeben, und Geldausgeben war für ihn gleichbedeutend mit Verschwenden.
    Während ich in der Küche und im Badezimmer wartete, um ihn allein weinen zu
    lassen, hatte ich gehofft, er würde so erschüttert sein, daß er mir eine große Summe schenkte, ohne die blöden Bedingungen, aber ich las jetzt in seinen Augen, er konnte es nicht. Er war kein Realist, und ich war keiner, und wir beide wußten, daß die anderen in all ihrer Plattheit nur Realisten waren, dumm wie alle Puppen, die sich tausendmal an den Kragen fassen und doch den Faden nicht entdecken, an dem sie zappeln.
    Ich nickte noch einmal, um ihn ganz zu beruhigen: ich würde weder von Geld
    noch von Henriette anfangen, aber ich dachte an sie auf eine Weise, die mir
    ungehörig vorkam, ich stellte sie mir vor, wie sie jetzt wäre: dreiunddreißig; wahrscheinlich von einem Industriellen geschieden. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie diesen Kitsch mitgemacht hätte, mit Flirts und Parties und »Am Christentum festhalten«, in Komitees herumhocken und »zu denen von der SPD besonders nett
    sein, sonst bekommen sie noch mehr Komplexe«. Ich konnte sie mir nur desperat
    vorstellen, etwas tun, das die Realisten für snobistisch halten würden, weil es ihnen an Phantasie fehlte. Irgendeinem der unzähligen Träger des Präsidententitels einen Cocktail in den Kragen schütten oder einem zähnefletschenden Oberheuchler mit
    ihrem Auto in seinen Mercedes hineinfahren. Was hätte sie schon tun können, wenn sie nicht malen oder auf der Töpferscheibe Butterfäßchen hätte drehen können. Sie würde es doch spüren, wie ich es spürte, überall, wo sich Leben zeigte, diese un-sichtbare Wand, wo das Geld aufhörte, zum Ausgeben da zu sein, wo es unantastbar wurde und in Tabernakeln als Ziffer existierte.
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    Ich gab meinem Vater den Weg frei. Er fing wieder an zu schwitzen und tat mir
    leid. Ich lief schnell ins Wohnzimmer zurück und holte das schmutzige Taschentuch vom Tisch und steckte es ihm in die Manteltasche. Meine Mutter konnte sehr
    unangenehm werden, wenn sie bei der monatlichen Wäschekontrolle ein Stück
    vermißte, sie würde die Mädchen des Diebstahls oder der Schlamperei bezichtigen.
    »Soll ich dir ein Taxi bestellen?« fragte ich.
    »Nein«, sagte er, »ich geh noch ein bißchen zu Fuß. Fuhrmann wartet in der Nähe des Bahnhofs.« Er ging an mir vorbei, ich öffnete die Tür, begleitete ihn bis zum Aufzug und drückte auf den Knopf. Ich nahm noch einmal meine Mark aus der
    Tasche, legte sie auf die ausgestreckte linke Hand und blickte sie an. Mein Vater blickte angeekelt weg und schüttelte den Kopf. Ich dachte, er könnte wenigstens seine Brieftasche herausnehmen und mir fünfzig, hundert Mark geben, aber Schmerz,
    Edelmut und die Erkenntnis seiner tragischen Situation hatten ihn

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