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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Selbstmord, den ich beging, als ich jetzt Monika am Telefon zuhörte, wie sie Mazurka spielte. Es gibt rituelle Augenblicke, die die Wiederholung in sich schließen: wie Frau Wieneken das Brot schnitt - aber ich hatte auch diesen Augenblick mit Marie
    wiederholen wollen, indem ich sie einmal bat, doch das Brot so zu schneiden, wie Frau Wieneken es getan hatte. Die Küche einer Arbeiterwohnung ist kein
    Hotelzimmer, Marie war nicht Frau Wieneken - das Messer rutschte ihr aus, sie schnitt sich in den linken Oberarm, und dieses Erlebnis machte uns für drei Wochen krank.
    So teuflisch kann Sentimentalität ausgehen. Man soll Augenblicke lassen, nie wiederholen.
    Ich konnte vor Elend nicht einmal mehr weinen, als Monika mit der Mazurka zu
    Ende war. Sie muß es gespürt haben. Als sie ans Telefon kam, sagte sie nur leise: »Na, sehen Sie.« Ich sagte: »Es war mein Fehler - nicht Ihrer - verzeihen Sie mir.«
    Ich fühlte mich, als läge ich besoffen und stinkend in der Gosse, mit Erbrochenem bedeckt, den Mund voll widerlicher Flüche, und als hätte ich jemand bestellt, mich zu fotografieren, und Monika das Foto geschickt. »Darf ich Sie noch einmal anrufen?«
    fragte ich leise. »In ein paar Tagen viel-
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    leicht. Ich habe nur eine Erklärung für meine Scheußlichkeit, mir ist so elend, daß ich's nicht beschreiben kann.« Ich hörte nichts, nur ihren Atem, für ein paar Augenblicke, dann sagte sie: »Ich fahre weg, für vierzehn Tage.«
    »Wohin?« fragte ich.
    »In Exerzitien«, sagte sie, »und ein bißchen malen.«
    »Wann kommen Sie her«, fragte ich, »und machen mir ein Omelette mit Pilzen und einen von Ihren hübschen Salaten?«
    »Ich kann nicht kommen«, sagte sie, »jetzt nicht.«
    »Später?« fragte ich.
    »Ich komme«, sagte sie; ich hörte noch, daß sie weinte, dann legte sie auf.

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    Ich dachte, ich müßte ein Bad nehmen, so schmutzig fühlte ich mich, und ich dachte, ich müßte stinken, wie Lazarus gestunken hatte — aber ich war vollkommen sauber und roch nicht. Ich kroch in. die Küche, drehte das Gas unter den Bohnen ab, unter dem Wasser, ging wieder ins Wohnzimmer, setzte die Kognakflasche an den Mund: es half nichts. Nicht einmal das Klingeln des Telefons weckte mich aus meiner Dumpfheit.
    Ich nahm auf, sagte: »Ja?« und Sabine Emonds sagte: »Hans, was machst du für
    Sachen?« Ich schwieg, und sie sagte: »Schickst Telegramme. Das wirkt so
    dramatisch. Ist es denn so schlimm?«
    »Schlimm genug«, sagte ich matt.
    »Ich war mit den Kindern spazieren«, sagte sie, »und Karl ist für eine Woche weg, mit seiner Klasse in einem Landschulheim - und ich mußte erst jemand zu den Kindern holen, bevor ich anrufen konnte.« Ihre Stimme klang gehetzt, auch ein bißchen
    gereizt, wie sie immer klingt. Ich brachte es nicht über mich, sie um Geld zu bitten.
    Seitdem er verheiratet ist, rechnet Karl an seinem Existenzminimum herum; er hatte drei Kinder, als ich den Krach mit ihm bekam, das vierte war damals unterwegs, aber ich hatte nicht den Mut, Sabine zu fragen, ob es inzwischen angekommen war. Immer herrschte in ihrer Wohnung diese schon nicht mehr gedämpfte Gereiztheit, überall lagen seine verfluchten Notizbücher herum, in denen er Berechnungen anstellt, wie er mit seinem Gehalt zurechtkommen könnte, und wenn ich allein mit ihm war, wurde Karl immer auf eine scheußliche Weise »offen« und fing seine Unter-Männern-Gespräche an, übers Kinderkriegen, und immer fing er an, der katholischen Kirche Vorwürfe zu machen (ausgerechnet mir gegenüber!), und es kam immer ein Punkt,
    wo er mich wie ein heulender Hund ansah, und meistens kam gerade dann Sabine
    herein, schaute ihn verbittert an, weil sie wieder schwanger war. Für mich gibt es kaum 211
    etwas Peinlicheres, als wenn eine Frau ihren Mann verbittert anschaut, weil sie schwanger ist. Schließlich hockten sie beide da und heulten, weil sie sich doch wirklich gern haben. Im Hintergrund der Kinderlärm, Nachttöpfe wurden mit Wonne
    umgeschmissen, klatschnasse Waschlappen gegen nagelneue Tapeten geworfen,
    während Karl immer von »Disziplin, Disziplin« und von »absolutem, unbedingtem
    Gehorsam« spricht, und es blieb mir nichts anderes übrig, als ins Kinderzimmer zu gehen und den Kindern ein paar Faxen vorzumachen, um sie zu beruhigen, aber es beruhigte sie nie, sie kreischten vor Vergnügen, wollten mir alles nachmachen, und zu guter Letzt hockten wir da, hatten jeder ein Kind auf dem Schoß, die Kinder durften an unseren

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