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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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diesem Unsinn, schließlich hätten Kommunisten nicht das
    heuchlerische Alibi Übernatur, aber daß Christen wie ihr Mann sich zu solch einem anmaßenden Wahnsinn hergäben, fände ich unglaublich - da sagte sie, ich sei eben ein kompletter Materialist und hätte kein Verständnis für Opfer, Leid, Schicksal, Größe der Armut. Bei Karl Emonds habe ich nie den Eindruck von Opfer, Leid, Schicksal, Größe der Armut. Er verdient ganz gut, und alles, was sich von Schicksal und Größe 216
    zeigte, war eine ständige Gereiztheit, weil er sich ausrechnen konnte, daß er nie eine für ihn angemessene Wohnung würde bezahlen können. Als mir klar wurde, daß
    ausgerechnet Karl Emonds der einzige war, den ich um Geld angehen konnte, wurde mir meine Situation klar. Ich besaß keinen Pfennig mehr.

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    Ich wußte auch, daß ich das alles nicht tun würde: nach Rom fahren und mit dem Papst sprechen oder morgen nachmittag bei Mutters jour fixe Zigaretten und Zigarren klauen, Erdnüsse in die Tasche stecken. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft, daran zu glauben wie an das Holzdurchsägen mit Leo. Jeder Versuch, die
    Marionettenfäden wieder zu knüpfen und mich daran hochzuziehen, würde scheitern.
    Irgendwann würde ich soweit sein, daß ich Kinkel anpumpte, auch Sommerwild und sogar diesen Sadisten Fredebeul, der mir wahrscheinlich ein Fünfmarkstück vor die Nase halten und mich zwingen würde, danach zu springen. Ich würde froh sein, wenn mich Monika Silvs zum Kaffee einlud, nicht, weil es Monika Silvs war, sondern wegen des kostenlosen Kaffees. Ich würde die dumme Bela Brosen noch einmal anrufen, mich bei ihr einschmeicheln und ihr sagen, daß ich nicht mehr nach der Höhe der Summe fragen würde, daß jede, jede Summe mir willkommen wäre, dann - eines Tages würde ich zu Sommerwild gehen, ihm »überzeugend« dartun, daß ich reumütig, einsichtig sei, reif zu konvertieren, und dann würde das Fürchterlichste kommen: eine von Sommerwild inszenierte Versöhnung mit Marie und Züpfner, aber wenn ich
    konvertierte, würde mein Vater wahrscheinlich gar nichts mehr für mich tun.
    Offenbar wäre das für ihn das Schrecklichste. Ich mußte mir die Sache überlegen: meine Wahl war nicht rouge et noir, sondern dunkelbraun oder schwarz: Braunkohle oder Kirche. Ich würde werden, was sie alle von mir schon so lange erwarteten: ein Mann, reif, nicht mehr subjektiv, sondern objektiv und bereit, in der Herren-Union einen deftigen Skat zu dreschen. Ich hatte noch ein paar Chancen: Leo, Heinrich Behlen, Großvater, Zohnerer, der mich vielleicht als Schmalz-guitarristen aufbauen würde, ich würde singen: »Wenn der Wind in deinen Haaren spielt, weiß ich, du bist mein.« Ich hatte es Marie schon vorgesungen, und sie hatte sich die
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    Ohren zugehalten und mir gesagt, sie fände es scheußlich. Schließlich würde ich das allerletzte tun: zu den Kommunisten gehen und ihnen all die Nummern vorführen, die sie so hübsch als antikapitalistisch einstufen konnten.
    Ich war tatsächlich einmal hingefahren und hatte mich mit irgendwelchen
    Kulturfritzen in Erfurt getroffen. Sie empfingen mich mit ziemlichem Pomp am
    Bahnhof, Riesenblumensträuße, und im Hotel gab es anschließend Forelle blau, Ka-viar, Halbgefrorenes und Unmengen von Sekt. Dann fragten sie uns, was wir denn von Erfurt sehen möchten. Ich sagte, ich würde gern die Stelle sehen, wo Luther seine Doktordisputation gehalten habe, und Marie sagte, sie habe gehört, es gebe in Erfurt eine katholisch-theologische Fakultät, sie interessiere sich für das religiöse Leben. Sie machten saure Gesichter, konnten aber nichts machen, und es wurde alles sehr peinlich: für die Kulturfritzen, für die Theologen und für uns. Die Theologen mußten ja meinen, wir hätten irgend etwas mit diesen Idioten zu tun, und keiner sprach offen mit Marie, auch als sie sich über Glaubensfragen mit einem Professor unterhielt.
    Der merkte irgendwie, daß Marie nicht richtig mit mir verheiratet war. Er fragte sie in Gegenwart der Funktionäre: »Aber Sie sind doch wirklich Katholikin«, und sie wurde schamrot und sagte: »Ja, auch wenn ich in der Sünde lebe, bleibe ich ja
    katholisch.« Es wurde scheußlich, als wir merkten, daß auch den Funktionären unser Nicht-verheiratetsein gar nicht gefiel, und als wir dann zum Kaffee ins Hotel
    zurückgingen, fing einer der Funktionäre davon an, daß es bestimmte
    Erscheinungsformen kleinbürgerlicher Anarchie gebe, die er gar nicht billige. Dann fragten

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