Ansichten eines Clowns
dem immer das Telefonbuch liegt. Ich hörte den Kerl sagen: »Na, endlich«, aber Sabine schien schon weg zu sein. Ich schrie ins Telefon laut: »Hilfe, Hilfe«, mit einer schrillen, hohen Stimme, der Kerl fiel drauf rein, nahm den Hörer auf und sagte: »Kann ich etwas für Sie tun?« Seine Stimme klang seriös, gefaßt, sehr männlich, und ich konnte riechen, daß er irgendetwas Saures gegessen hatte, eingelegte Heringe oder etwas ähnliches. »Hallo, hallo«, sagte er, und ich sagte: »Sind Sie Deutscher, ich spreche grundsätzlich nur mit deutschen Menschen.«
»Das ist ein guter Grundsatz«, sagte er, »wo fehlt's denn bei Ihnen?«
»Ich mache mir Sorgen um die CDU«, sagte ich, »wählen Sie auch fleißig CDU?«
»Aber das ist doch selbstverständlich«, sagte er beleidigt, und ich sagte: »Dann bin ich beruhigt«, und legte auf.
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Ich hätte den Kerl richtig beleidigen, ihn fragen sollen, ob er seine eigene Frau schon vergewaltigt, den Grand mit zweien gewonnen und im Amt mit seinen Kollegen den obligatorischen zweistündigen Plausch über den Krieg schon hinter sich habe. Er hatte die Stimme eines richtigen Eheherrn und aufrechten deutschen Menschen
gehabt, und sein »Na, endlich« hatte geklungen wie »Legt an«. Sabine Emonds'
Stimme hatte mich etwas getröstet, sie hatte ein bißchen gereizt geklungen, auch gehetzt, aber ich wußte, daß sie Maries Handlungsweise wirklich gemein fand und das Töpfchen Suppe bei ihr immer für mich auf dem Herd stand. Sie war eine sehr gute Köchin, und wenn sie nicht schwanger war und dauernd die »Ach-ihr-Männer-Blicke«
um sich warf, war sie sehr munter und auf eine viel nettere Art katholisch als Karl, der über das »Sextum« seine merkwürdigen Seminaristenvorstellungen behalten
hatte. Sabines vorwurfsvolle Blicke galten wirklich dem ganzen Geschlecht, sie nahmen nur, wenn sie Karl, den Urheber ihres Zustandes, anblickte, eine besonders dunkle Färbung an, fast gewitterhaft. Ich hatte meistens versucht, Sabine
abzulenken, ich führte eine meiner Nummern vor, dann mußte sie lachen, lange und herzlich, bis sie anfing, Tränen zu lachen, dann blieb sie meistens in den Tränen hängen, und es war kein Lachen mehr drin ... Und Marie mußte sie hinausbringen und sie trösten, während Karl mit finsterer, schuldbewußter Miene bei mir saß und
schließlich vor Verzweiflung anfing, Hefte zu korrigieren. Manchmal half ich ihm dabei, indem ich die Fehler mit einem roten Tintenkuli anstrich, aber er traute mir nie, sah alles noch einmal durch und war jedesmal wütend, weil ich nichts übersehen und die Fehler ganz korrekt angestrichen hatte. Er konnte sich gar nicht vorstellen, daß ich eine solche Arbeit selbstverständlich fair und in seinem Sinn erledigen würde.
Karls Problem ist nur ein Geldproblem. Wenn Karl Emonds
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eine Siebenzimmerwohnung hätte, wäre die Gereiztheit, das Gehetztsein nicht mehr unumgänglich. Ich hatte mich mit Kinkel einmal über seinen Begriff
»Existenzminimum« gestritten. Kinkel galt als einer der genialen Spezialisten für solche Themen, und er war es, glaube ich, der das Existenzminimum für eine
alleinstehende Person in einer Großstadt, die Miete nicht gerechnet, auf
vierundachtzig, später auf sechsundachtzig Mark berechnen ließ. Ich kam ihm schon gar nicht mit dem Einwand, daß er selbst, nach der ekelhaften Anekdote zu urteilen, die er uns erzählt hatte, offenbar das fünfunddreißigfache davon für sein
Existenzminimum hielt. Solche Einwände gelten ja als zu persönlich und geschmacklos, aber das Geschmacklose liegt darin, daß so einer anderen ihr Existenzminimum vorrechnet. In dem Betrag von sechsundachtzig Mark war sogar ein Betrag für
kulturelle Bedürfnisse eingeplant: Kino wahrscheinlich, oder Zeitungen, und als ich Kinkel fragte, ob sie erwarteten, daß sich der Betreffende für dieses Geld einen guten Film anschaue, einen mit volkserzieherischem Wert - wurde er wütend, und als ich ihn fragte, wie der Posten »Erneuerung des Wäschebestandes« zu verstehen sei, ob sie vom Ministerium extra einen gutmütigen alten Mann anheuern, der durch Bonn rennt und seine Unterhose verschleißt und dem Ministerium berichtet, wie lange er braucht, bis die Unterhose verschlissen ist - da sagte seine Frau, ich sei auf eine gefährliche Weise subjektiv, und ich sagte ihr, ich könnte mir etwas darunter vorstellen, wenn Kommunisten anfingen zu planen, mit Modellmahlzeiten, Verschleißzeiten für
Taschentücher und
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