Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
sind, ist Sommerwild rechts, oder umgekehrt. Auch Marie war ein bißchen blaß geworden, aber ihr imponiert Bildung - das habe ich ihr nie ausreden können -, und Kinkels Bildung imponierte auch der späteren Frau Fredebeul: sie nahm mit fast schon unzüchtigen Seufzern die wortstarke Belehrung hin: Das ging von den Kirchenvätern bis Brecht wie ein Unwetter nieder, und als ich erfrischt vom Balkon zurückkam, saßen alle vollkommen erschossen da, tranken Bowle - und das ganze nur, weil das arme Ding gesagt hatte, sie fände einiges von Benn »ganz hübsch«.
    Jetzt hat sie schon zwei Kinder von Fredebeul, ist kaum zweiundzwanzig, und während das Telefon immer noch in ihrer Wohnung klingelte, stellte ich mir vor, wie sie irgendwo mit Babyflaschen, Puderdosen, Windeln und Cremes herumhantierte, vollkommen hilflos und konfus, und ich dachte an die Berge von schmutziger Babywäsche und das ungespülte, fettige Geschirr in ihrer Küche. Ich hatte ihr einmal, als mir die Unterhaltung zu anstrengend wurde, geholfen, Toast zu rösten, Schnittchen zu machen und Kaffee zu kochen, Arbeiten, von denen ich nur sagen kann, daß sie mir weniger widerwärtig sind als gewisse Formen der Unterhaltung.
    Eine sehr zaghafte Stimme sagte: »Ja, bitte?« und ich konnte aus dieser Stimme heraushören, daß es in Küche, Badezimmer und Schlafzimmer hoffnungsloser aussah als je. Riechen konnte ich diesmal fast nichts: nur, daß sie eine Zigarette in der Hand
    haben mußte.
    »Schnier«, sagte ich, und ich hatte einen Ausruf der Freude erwartet, wie sie ihn immer tut, wenn ich sie anrufe. Ach, Sie in Bonn - wie nett - oder ähnlich, aber sie schwieg verlegen, sagte dann schwach: »Ach, nett«. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Früher hatte sie immer gesagt: »Wann kommen Sie noch einmal und führen uns was vor?« Kein Wort. Es war mir peinlich, nicht meinet-, mehr ihretwegen, meinetwegen war es nur deprimierend, ihretwegen war es peinlich. »Die Briefe«, sagte ich schließlich mühsam, »die Briefe, die ich Marie an Ihre Adresse schickte?«
    »Liegen hier«, sagte sie, »ungeöffnet zurückgekommen.«

    »An welche Adresse hatten Sie sie denn nachgeschickt?«

    »Ich weiß nicht«, sagte sie, »das hat mein Mann gemacht.«

    »Aber Sie müssen doch auf den zurückkommenden Briefen gesehen haben, welche Adresse er drauf geschrieben hat?«
    »Wollen Sie mich verhören?«

    »O nein«, sagte ich sanft, »nein, nein, ich dachte nur ganz bescheiden, ich könnte ein Recht haben, zu erfahren, was mit meinen Briefen geschehen ist.«
    »Die Sie, ohne uns zu fragen, hierhergeschickt haben.«

    »Liebe Frau Fredebeul«, sagte ich, »bitte, werden Sie jetzt menschlich.« Sie lachte, matt, aber doch hörbar, sagte aber nichts.
    »Ich meine«, sagte ich, »es gibt doch einen Punkt, wo die Menschen, wenn auch aus ideologischen Gründen — menschlich werden.«
    »Soll das heißen, daß ich mich bisher unmenschlich verhalten habe ?«

    »Ja«, sagte ich. Sie lachte wieder, sehr matt, aber immer noch hörbar.

    »Ich bin sehr unglücklich über diese Geschichte«, sagte sie schließlich, »aber mehr kann ich nicht sagen. Sie haben uns alle eben schrecklich enttäuscht.«
    »Als Clown?« fragte ich.

    »Auch«, sagte sie, »aber nicht nur.«
    »Ihr Mann ist wohl nicht zu Hause?«

    »Nein«, sagte sie, »er kommt erst in ein paar Tagen zurück. Er hält Wahlreden in der Eifel.«
    »Was?« rief ich; das war wirklich eine Neuigkeit, »doch nicht für die CDU?«

    »Warum nicht«, sagte sie in einem Ton, der mir deutlich zu verstehen gab, daß sie gern einhängen würde.
    »Na gut«, sagte ich, »ist es zuviel verlangt, wenn ich Sie bitte, mir meine Briefe hierherzuschicken.«
    »Wohin?«

    »Nach Bonn - hier an meine Bonner Adresse.«

    »Sie sind in Bonn?« fragte sie, und es kam mir so vor, als ob sie ein »Um Gottes willen« unterdrücke.
    »Auf Wiedersehen», sagte ich, »und Dank für soviel Humanität.« Es tat mir leid, daß ich so böse mit ihr war, ich war am Ende. Ich ging in die Küche, nahm den Kognak aus dem Eisschrank und nahm einen tiefen Schluck. Es half nichts, ich nahm noch einen, es half ebensowenig. Von Frau Fredebeul hatte ich eine solche Abfertigung am wenigsten erwartet. Ich hatte mit einem langen Sermon über die Ehe gerechnet, mit Vorwürfen über mein Verhalten Marie gegenüber; sie konnte auf eine nette, konsequente Weise dogmatisch sein, aber meistens, wenn ich in Bonn war und sie anrief, hatte sie mich scherzhaft

Weitere Kostenlose Bücher