Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
rasselte lauter Zeug herunter, von dem ich merkte, daß ers zusammengelesen hatte, und sein glattes hübsches Gesicht mit dem überraschend breiten Mund strahlte vor Wohlwollen, als ich dummerweise bekannte, Beckett gelesen zu haben; alles, was er sagt, kommt mir immer so bekannt vor, als ob ichs schon irgendwo gelesen hätte. Kinkel strahlte ihn bewundernd an, und Sommerwild blickte um sich, mit den Augen sprechend: Was, wir Katholiken sind nicht hinterm Mond. Das alles war vor dem Gebet. Es war Frau Kinkel, die sagte: »Ich glaube, Odilo, wir können das Gebet sprechen. Heribert kommt wohl heute nicht« - sie blickten alle auf Marie, dann viel zu plötzlich von ihr weg, aber ich kapierte nicht, warum wieder so ein peinliches Schweigen entstand - erst in Hannover im Hotelzimmer wußte ich plötzlich, daß Heribert Züpfners Vorname ist. Er kam doch noch später, nach dem Gebet, als sie mitten im Thema des Abends waren, und ich fand es sehr lieb, wie Marie sofort, als er reinkam, auf ihn zuging, ihn ansah und eine hilflose Schulterbewegung machte, bevor Züpfner die anderen begrüßte und sich lächelnd neben mich setzte. Sommerwild erzählte dann die Geschichte von dem katholischen Schriftsteller, der lange mit einer geschiedenen Frau zusammen- lebte, und als er sie dann heiratete, sagte ein hoher Prälat zu ihm: »Aber mein lieber Besewitz, konnten Sies denn nicht beim Konkubinat belassen?« Sie lachten alle ziemlich ausgelassen über diese Geschichte, besonders Frau Kinkel auf eine fast schon obszöne Weise. Der einzige, der nicht lachte, war Züpfner, und ich hatte ihn gern deswegen. Auch Marie lachte nicht. Sicher erzählte Sommerwild diese Geschichte, um mir zu zeigen, wie großherzig, warm, wie witzig und farbig die katholische Kirche sei; daß ich mit Marie auch sozusagen im Konkubinat lebte, daran dachten sie nicht. Ich erzählte ihnen die Geschichte von dem Arbeiter, der ganz in unserer Nähe gelebt
    hatte; er hieß Frehlingen und hatte in
    seinem Siedlungshäuschen auch mit einer geschiedenen Frau zusammengelebt, deren drei Kinder er sogar ernährte. Zu Frehlingen war eines Tages der Pfarrer gekommen und hatte ihn mit ernster Miene und unter gewissen Drohungen aufgefordert, »dem unsittlichen Treiben ein Ende zu setzen«, und Frehlingen, der ziemlich fromm war, hatte die hübsche Frau mit ihren drei Kindern tatsächlich fortgeschickt. Ich erzählte auch, wie die Frau nachher auf den Strich ging, um die Kinder zu ernähren, und wie Frehlingen ans Saufen gekommen war, weil er sie wirklich gern hatte. Es entstand wieder so ein peinliches Schweigen, wie immer, wenn ich etwas sagte, aber Sommerwild lachte und sagte: »Aber Herr Schnier, Sie wollen doch die beiden Fälle nicht etwa miteinander vergleichen?« - »Wieso nicht?« sagte ich. »Das können Sie nur, weil Ihnen Besewitz kein Begriff ist«, sagte er wütend, »er ist der feinsinnigste Autor, der die Bezeichnung christlich verdient.« Und ich wurde auch wütend und sagte: »Wissen Sie denn, wie feinsinnig Frehlingen war - und welch ein christlicher Arbeiter.« Er sah mich nur kopfschüttelnd an und hob verzweifelt die Hände. Es entstand eine Pause, in der man nur Monika Silvs hüsteln hörte, aber sobald Fredebeul im Zimmer ist, braucht kein Gastgeber Angst vor einer Gesprächspause zu haben. Er hakte sich in die kurze Stille sofort ein, lenkte zum Thema des Abends zurück und sprach von der Relativität des Armutsbegriffs, etwa eineinhalb Stunden lang, bis er endlich Kinkel Gelegenheit gab, die Anekdote von jenem Mann zu erzählen, der zwischen fünfhundert Mark und dreitausend im Monat das nackte Elend erlebt hatte, und Züpfner bat mich um eine Zigarette, um seine Schamröte mit Rauch zu verhüllen.
    Mir war so elend wie Marie, als wir mit der letzten Bahn nach Köln zurückfuhren. Wir hatten das Geld für die Fahrt zusammengekratzt, weil Marie soviel daran gelegen hatte, die Einladung anzunehmen. Es war uns auch körperlich übel, wir hatten zu
    wenig gegessen und mehr getrunken, als wir gewohnt waren. Die Fahrt kam uns
    wir in Köln-West ausstiegen, mußten wir zu Fuß nach Hause gehen. Wir hatten kein Fahrgeld mehr.

    Bei Kinkel kam sofort jemand ans Telefon. »Alfred Kinkel hier«, sagte eine selbstbewußte Jungenstimme.
    »Schnier«, sagte ich, »könnte ich Ihren Vater sprechen?«

    »Schmer, der Theologe oder Schnier, der Clown?«

    »Der Clown«, sagte ich.

    »Ach«, sagte er, »ich hoffe, Sie nehmen es nicht zu schwer ?«

    »Schwer ?«

Weitere Kostenlose Bücher