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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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aufgefordert, ihr doch noch einmal in Küche und Kinderzimmer zu helfen. Ich mußte mich in ihr getäuscht haben, oder vielleicht war sie wieder schwanger und schlecht gelaunt. Ich hatte nicht den Mut, noch einmal anzurufen und möglicherweise herauszukriegen, was mit ihr los war. Sie war immer so nett zu mir gewesen. Ich konnte es mir nicht anders erklären, als daß Fredebeul ihr »strikte Anweisungen« gegeben hatte, mich so abzufertigen. Mir ist schon oft
    aufgefallen, daß Ehefrauen loyal gegenüber ihrem Mann sind bis zum völligen
    nicht viel mehr ist als ein opportunistischer Schwätzer, der um jeden Preis Karriere machen will und seine Großmutter »fallen lassen« würde, wenn sie ihm hinderlich wäre. Sicher hatte er ihr gesagt: »Schnier abschreiben«, und sie schrieb mich einfach ab. Sie war ihm Untertan, und so lange er gemeint hatte, ich sei zu irgend etwas nütze, hatte sie ihrer Natur folgen und nett zu mir sein dürfen, jetzt mußte sie gegen ihre Natur schnöde zu mir sein. Vielleicht tat ich ihnen auch unrecht, und sie folgten beide nur ihrem Gewissen. Wenn Marie mit Züpfner verheiratet war, war es wohl sündhaft, wenn sie mir Kontakt mit ihr verschafften - daß Züpfner der Mann im Dachverband war und Fredebeul nützen konnte, machte dem Gewissen keine Schwierigkeiten. Sicher mußten die das Gute und Richtige auch dann tun, wenn es ihnen nützte. Über Fredebeul war ich weniger erschrocken als über seine Frau. Über ihn hatte ich mir nie Illusionen gemacht, und nicht einmal die Tatsache, daß er jetzt Wahlreden für die CDU hielt, konnte mich in Erstaunen versetzen.
    Ich stellte die Kognakflasche endgültig in den Eisschrank zurück.

    Am besten rief ich sie jetzt alle hintereinander an, um die Katholiken hinter mir zu haben. Ich war irgendwie wach geworden und humpelte nicht einmal mehr, als ich aus der Küche wieder ins Wohnzimmer ging.
    Sogar die Garderobe und die Tür zur Besenkammer in der Diele waren rostfarben. Ich versprach mir nichts davon, Kinkel anzurufen - und wählte doch seine
    Nummer. Er hatte sich immer als begeisterter Verehrer meiner Kunst erklärt - und wer unser Gewerbe kennt, weiß, daß sogar das winzigste Lob eines Bühnenarbeiters unsere Brust bis zum Platzen schwellen läßt. Ich hatte den Wunsch, Kinkels christlichen Abendfrieden zu stören - und den Hintergedanken, daß er mir Maries Aufenthalt verraten würde. Er war der Kopf des Kreises, hatte Theologie studiert, dann aber einer hübschen Frau wegen das Studium abgebrochen, war Jurist geworden,
    hatte sieben
    Kinder und galt als »einer unserer fähigsten Sozialpolitiker«. Vielleicht war er's wirklich, ich konnte das nicht beurteilen. Bevor ich ihn kennenlernte, hatte Marie mir eine Broschüre von ihm zu lesen gegeben, Wege ^u einer neuen Ordnung, und nach der Lektüre dieser Schrift, die mir gut gefiel, hatte ich ihn mir als einen großen, zarten, blonden Menschen vorgestellt, und als ich ihn dann zum erstenmal sah: einen schwe- ren, kurzen Kerl mit dichtem schwarzen Haar, »strotzend von Vitalität«, konnte ich gar nicht glauben, daß er es sei. Daß er nicht so aussah, wie ich ihn mir vorgestellt habe, macht mich vielleicht so ungerecht ihm gegenüber. Der alte Derkum hatte immer, wenn Marie anfing, von Kinkel zuschwärmen, von den Kinkel-Cocktails gesprochen: Mischungen aus wechselnden Bestandteilen: Marx plus Guardini, oder Bloy plus Tolstoi.
    Als wir zum erstenmal eingeladen wurden, fing die Sache gleich peinlich an. Wir kamen viel zu früh, und im Hintergrund der Wohnung stritten sich Kinkels Kinder laut, mit zischenden Stimmen, die durch Zischen beschwichtigt wurden, darüber, wer den Abendbrottisch abräumen müsse. Kinkel kam, lächelnd, noch kauend, und überspielte krampfhaft seine Gereiztheit über unser zu frühes Erscheinen. Auch Sommerwild kam, nicht kauend, sondern grinsend und händereibend. Kinkels Kinder im Hintergrund kreischten auf eine bösartige Weise, die in peinlichem Widerspruch zu Kinkels Lächeln und Sommerwilds Grinsen stand, wir hörten, wie es hinten von Ohrfeigen klatschte, ein brutales Geräusch, und, hinter geschlossenen Türen, wußte ich, ging das Kreischen heftiger als vorher weiter. Ich saß da neben Marie und rauchte vor Aufregung, durch die Disharmonien im Hintergrund vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht, eine Zigarette nach der anderen, während Sommerwild mit Marie plauderte, immer dieses »verzeihende und großzügige Lächeln« auf dem Gesicht. Wir waren zum

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