Dead Eyes - Der Fluch der Maske (German Edition)
1
Das Flugzeug tauchte aus strahlendem Sonnenschein in dichte graue Wolken. Regentropfen perlten zitternd die Scheibe entlang. Die Flügelspitze war nicht zu sehen, dann tauchte sie aus dem Nebel, verschwand und tauchte wieder auf, während das Flugzeug durch das formlose Grau der Wolken sank und eine regendunkle Landschaft unter ihnen auftauchte.
Alex rieb sich die Augen und sah an der Flügelkante vorbei auf die Schnellstraße, die sich wie mit funkelnden Scheinwerfern besetzt unter ihnen entlangzog. Es war zehn Uhr morgens, aber es schien, als hätte die Nacht den Tag nie wirklich losgelassen.
Die Reifen setzten auf. Das Flugzeug zitterte und dröhnte, während die Geschwindigkeit gedrosselt wurde, und rollte dann langsam zur Endposition am Gate. Der Pilot hieß sie auf Holländisch und Englischam Flughafen von Schiphol in Amsterdam willkommen. Alex hatte den Flughafen
Sk
ipol wie
Sc
ampi ausgesprochen und war überrascht, dass man tatsächlich
Sh
ipol wie Schietkram sagte. Alex’ Vater drehte sich zu ihm und lächelte.
»Also«, sagte er. »Dann mal auf nach Amsterdam.«
Alex nickte und streckte gähnend die Beine, schob ein Lesezeichen in sein Buch und klappte es zu. Das Flugzeug kam zum Halt. Die Passagiere standen fast augenblicklich auf, begannen ihr Gepäck aus den Ablagen zu holen und stellten ihre Handys an.
Der Mann neben Alex’ Vater löste seinen Sicherheitsgurt, erhob sich und griff nach oben, um seine Tasche herunterzuholen. Unter seiner Achsel war ein riesiger Schweißfleck in Form von Afrika zu sehen.
»Ich schau lieber mal, ob Saskia uns geschrieben hat … «, sagte Alex’ Vater.
Saskia arbeitete für den Verlag von Alex’ Vater. Er war Historiker und ein Experte in Sachen Zweiter Weltkrieg, sein letztes Buch über die Besatzungszeit in Amsterdam war in Holland und auch in England ein Bestseller gewesen.
»Sie wartet am Gate auf uns«, sagte sein Vater und steckte das Handy in die Jackentasche.
Alex folgte ihm in den Gang, nahm seine Tasche und schlurfte ihm hinterher zum vorderen Ausgang.
»Auf Wiedersehen«, verabschiedete sich die Stewardessan der Tür mit geübtem Lächeln. »Einen angenehmen Aufenthalt.«
Es war März, und der Frühling ließ auf sich warten. Eine feuchte Brise schlug ihnen durch die offene Tür entgegen, als sie in den Regen traten. Die Metalltreppe sah rutschig aus, und Alex hielt sich an dem kalten, nassen Geländer fest. In der Luft hing das aggressive Dröhnen der Flugzeugmotoren.
Männer in neongelben Jacken und Ohrschützern warteten auf der nassen Rollbahn, während die Passagiere eilig aus dem Regen in die Ankunftshalle liefen. Alex und sein Vater stellten sich in die lange, ungeordnete Schlange an der Passkontrolle.
Alex’ Vater fasste ihn am Arm. »Und versuch wenigstens, ein halbwegs heiteres Gesicht zu machen. Nein, wirklich. Ich mein’s ernst.«
Alex stieß einen lauten Seufzer aus.
»Jetzt hör schon auf«, sagte sein Vater. »Davon wird es auch nicht besser.«
Alex zuckte mit den Achseln. Sein Vater schüttelte den Kopf und drehte sich zurück in die Reihe.
Alex holte seinen iPod heraus, steckte die Ohrstöpsel ein und drückte auf Shuffle. Die Anfangsakkorde von ›Seven Nation Army‹ setzten ein. Die White Stripes erinnerten Alex immer an seine Mutter. Sie hasste sie. Sie hatte immer von unten laut gerufen, er solle die Musik leiser machen, wenn er sie in seinemZimmer hörte. Es war fast ein Jahr her, seit sie ausgezogen war, aber Alex konnte das Lied noch immer nicht hören, ohne an sie zu denken. Er sprang vor zum nächsten Track und versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Ein missmutig aussehender Grenzbeamter sah sich Alex’ Foto in seinem Ausweis an, schaute zu ihm, und wieder auf das Foto. Dann gab er ihnen mit einem Nicken die Pässe zurück, und Alex und sein Vater gingen durch eine Schiebetür in die Ankunftshalle.
Eine kleine Menschenmenge wartete hinter der Absperrung auf die ankommenden Reisenden, ein paar hielten Pappschilder mit Namen darauf. Eine Frau Anfang vierzig mit schulterlangem blonden Haar winkte ihnen zu. Alex erkannte sie von dem Foto, das sein Vater zu Hause an die Kühlschranktür gepinnt hatte.
»Jeremy!«, rief sie.
Der Name klang mit ihrem Akzent so anders, dass Alex einen Moment brauchte, bis ihm klar wurde, dass es der Name seines Vaters war.
»Saskia!«, antwortete Alex’ Vater.
Die Frau kam durch die Menge auf sie zu und begrüßte sie am Ende der Absperrung. Alex’ Vater
Weitere Kostenlose Bücher