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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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»Willst du denn meinem Glück im Wege stehen?« Unter Glück, das länger als eine Sekunde, vielleicht zwei, drei Sekunden dauert, kann ich mir nichts vorstellen. Richtige Hurenfilme sehe ich wieder ganz gern, aber es gibt so wenige. Die meisten sind so anspruchsvoll, daß man gar nicht merkt, daß es eigentlich Hurenfilme sind. Es gibt noch eine Kategorie von Frauen, die nicht Huren und nicht Ehefrauen sind, die barmherzigen Frauen, aber sie werden in den Filmen vernachlässigt. In den Filmen, die für Sechsjährige zugelassen sind, wimmelt es meistens von Huren. Ich habe nie begriffen, was die Ausschüsse, die die Filme einstufen, sich dabei denken, wenn sie solche Filme für Kinder zulassen. Die Frauen in diesen Filmen sind entweder von Natur Huren, oder sind es nur im soziologischen Sinn; barmherzig sind sie fast nie. Da tanzen in irgendeinem Wild-west-Tingel-tangel Blondinen Cancan, rauhe Cowboys, Goldgräber oder Trapper, die zwei Jahre lang in der Einsamkeit hinter Stinktieren her gewesen sind, schauen den hübschen, jungen Blondinen beim Cancantanzen zu, aber wenn diese Cowboys, Goldgräber, Trapper dann hinter den
    Mädchen hergehen und mit auf deren Zimmer wollen, kriegen sie mei-
    stens die Tür vor der Nase zugeknallt, oder irgendein brutales Schwein boxt sie unbarmherzig nieder. Ich denke mir, daß damit etwas wie Tugendhaftigkeit ausgedrückt werden soll. Unbarmherzigkeit, wo Barmherzigkeit das einzig Menschliche wäre. Kein Wunder, daß die armen Hunde dann anfangen, sich zu prügeln, zu schießen, - es ist wie das Fußballspielen im Internat, nur, da es erwachsene Männer sind, unbarmherziger. Ich verstehe die amerikanische Moral nicht. Ich denke mir, daß dort eine barmherzige Frau als Hexe verbrannt würde, eine Frau, die es nicht für Geld und nicht aus Leidenschaft für den Mann tut, nur aus Barmherzigkeit mit der männlichen Natur.
    Besonders peinlich finde ich Künstlerfilme. Künstlerfilme werden wohl meistens von Leuten gemacht, die van Gogh für ein Bild nicht einmal ein ganzes, sondern nur ein halbes Paket Tabak gegeben und später auch das noch bereut hätten, weil ihnen klar geworden wäre, daß er es ihnen für eine Pfeife Tabak auch gegeben hätte. In Künstlerfilmen wird das Leiden der Künstlerseele, die Not und das Ringen mit dem Dämon immer in die Vergangenheit verlegt. Ein lebender Künstler, der keine Zigaretten hat, keine Schuhe für seine Frau kaufen kann, ist uninteressant für die Filmleute, weil noch nicht drei Generationen von Schwätzern ihnen bestätigt haben, daß er ein Genie ist. Eine Generation von Schwätzern würde ihnen nicht ausreichen.
    »Das ungestüme Suchen der Künstlerseele.« Sogar Marie glaubte daran. Peinlich, es gibt so etwas Ähnliches, man sollte es nur anders nennen. Was ein Clown braucht, ist Ruhe, die Vortäuschung von dem, was andere Leute Feierabend nennen. Aber diese anderen Leute begreifen eben nicht, daß die Vortäuschung von Feierabend für einen Clown darin besteht, seine Arbeit zu vergessen, sie begreifen es nicht, weil sie sich, was für sie wieder vollkommen natürlich ist, erst an ihrem Feierabend mit sogenannter Kunst beschäftigen. Ein Problem für sich sind die künstlerischen
    Menschen, die an nichts anderes als Kunst denken, aber keinen Feierabend
    nicht arbeiten. Wenn dann einer anfängt, einen künstlerischen Menschen zum Künstler zu ernennen, entstehen die peinlichsten Mißverständnisse. Die künstlerischen Menschen fangen immer genau dann von Kunst an, wenn der Künstler gerade das Gefühl hat, so etwas wie Feierabend zu haben. Sie treffen meistens den Nerv ganz genau, in diesen zwei, drei, bis zu fünf Minuten, wo der Künstler die Kunst vergißt, fängt ein künstlerischer Mensch von van Gogh, Kafka, Chaplin oder Beckett an. In solchen Augenblicken möchte ich am liebsten Selbstmord begehen - wenn ich anfange, nur an die Sache zu denken, die ich mit Marie tue, oder an Bier, fallende Blätter im Herbst, an Mensch-ärgere-dich-nicht oder an etwas Kitschiges, vielleicht Sentimentales, fängt irgendein Fredebeul oder Sommerwild von Kunst an. Genau in dem Augenblick, wo ich das ungeheuer erregende Gefühl habe, ganz normal zu sein, auf eine so spießige Weise normal wie Karl Emonds, fangen Fredebeul oder Sommerwild von Claudel oder Ionesco an. Ein bißchen davon hat auch Marie, früher weniger, in der letzten Zeit mehr. Ich merkte es als ich ihr erzählte, daß ich anfangen würde, Lieder zur Guitarre zu singen. Es traf, wie sie

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