Ansichten eines Klaus - Roman
oben in der Stange hängen, die den schweren Vorhang vor der Tür hält.
»Uhhhh!«, macht der Sensenmann, weniger, um uns Angst zu machen, mehr, weil er hängengeblieben ist. Er sieht nach oben und stochert mit der Sensenklinge in der Luft herum, aber das Gerät ist sperrig und seine Kapuze nimmt ihm die Sicht.
Ich habe mein Bier hingestellt, bin zur Tür gerannt, mein Stuhl fällt um, ich höre ihn hinter mir auf dem Boden aufschlagen, als ich den Sensenmann schon am Arm gepackt habe.
»Ey, nee, komm raus«, sage ich, packe ihn, drehe ihn um sich selbst und schiebe ihn zur Tür raus. Die Sense hat er losgelassen, sie hängt jetzt immer noch zwischen Vorhangstange und Türrahmen. Als ich den grimmen Schnitter draußen habe, springe ich zurück in die Kneipe, hole sein Erntewerkzeug und werfe es ihm vor die Füße. Es scheppert. Der Sensenmann springt zur Seite, er trägt nur Sandalen.
»Armin! Bist du bescheuert?«, brülle ich ihn an. »Das ist eine Waffe! Damit kannst du Leute umbringen! Damit kannst du doch nicht einfach so in meine Kneipe kommen! Und nimm endlich deine beschissene Maske ab.«
Er schlägt die Kapuze zurück, greift hinter den Kopf und fummelt, um seine Maske zu lösen. Als ersie runterzieht, kommt sein verschwitztes Gesicht zum Vorschein.
»’tschuldigung«, sagt er und holt Luft. »Ich wollt nur ... Ich dacht ja nicht ... Und die Sense ist gar nicht echt.«
»Na, aus Gummi ist sie nicht«, sage ich und trete dagegen. Die Klinge schabt metallisch übers Pflaster.
»Ist ja nur Aluminium. Und nicht geschliffen.«
»Wäre ja noch schöner«, sage ich. »Zum Leute-Erschrecken reicht’s jedenfalls. Das und diese Maske.«
»Die hatte ich vergessen.«
»Wie kann man eine Gummimaske vergessen, die man direkt vorm Gesicht hat. Das muss doch tierisch warm sein da drunter.«
»Ist es ja auch«, sagt Armin. »Was denkst du denn? Darum bin ich ja auch gleich von der Arbeit her, weil ich so Durst habe und dachte ...«
»... geh ich doch mal mit meiner Zwei-Meter-Sense in den Theaterklaus, Bier trinken und ein paar Leute zu Tode erschrecken.«
»Bier trinken stimmt.« Er stopft sich die Gummimaske in eine versteckte Tasche in seiner Kutte, hebt die Sense auf und macht zwei Schritte auf die Tür zu.
»Halt, halt, halt, was wird das denn?«
»Kann ich rein?«, fragt er kleinlaut. »Ich hab die Maske abgenommen und vielleicht kannst du die Sense irgendwo hinten hinlegen.«
»Nichts ist. Du gehst schön nach Hause und ziehst dich um. Dein Käsemesser nimmst du auch mit und passt auf, wo du es hinhältst. Ich sage Rolf, er soll dir schon mal ein Bier zapfen, also beeil dich. Und jetzt Abmarsch, du verschreckst mir ja die Gäste.«
Er dreht sich um, die Sense, die wohl doch nicht so leicht ist – oho, Aluminium – zieht ihn zur rechten Seite, er schwankt ein bisschen, stützt sich dann aber auf seine seltsame Krücke und wankt von dannen.
»Und iss erst mal was«, rufe ich ihm hinterher.
Er hebt winkend die freie Hand, ohne sich umzudrehen.
Zehn Minuten später ist Armin wieder da. Wahrscheinlich ist er gerannt und hat dabei ein paar Leute umgemäht. Werd ich morgen ja in der Zeitung lesen. Er hat sein altes, braunes Cordjacket an, und als er sich setzt, steht sein Bier schon vor ihm. »Und das am ersten Tag«, sagt er und trinkt.
»Was war denn?«, fragt der Lockenkopf.
»Hast du das nicht mitgekriegt? Der Sensenmann eben. Das war Armin.«
»Ach. Gar nicht erkannt.«
Ich winke ab.
»Wofür machst du denn Werbung?«, fragt Sarah. »Horrorfilme?«
»Rentenversicherungen.«
»Nicht dein Ernst. Die ollen Leute kriegen doch nen Herzkasper, wenn die dich sehen.«
»Rentenversicherungen dreht man ja auch jungen Leuten an, nicht alten«, sagt Armin. »Und die jungen finden so was spaßig.«
»Sagt wer?«, frage ich.
»Sagt mein Chef«, sagt Armin. »Da gibt es Marktforschung zu. Ein Kollege von mir macht für Kontaktlinsen Werbung. Der steht den ganzen Tag als Augapfel vor nem Optiker.«
»Ihhhh.«
Unter dem Tisch fiept es.
»Oh, ein Hund«, sagt Armin. »Seit wann dürfen Hunde in deine Kneipe?«
»Immer schon.«
»Ist das deiner?«, fragt er Sarah.
»Von einer Freundin.«
»Beißt der?«
»Nein, natürlich nicht. Warum sollte er? Denkst du, Hunde haben den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als zu beißen? Stell dir mal vor, ich würde jedesmal, wenn ich einen Mann sehe, fragen: ›Fickt der?‹, nur weil es ein Mann ist. Leg dich hin!«
»Und warum ist der so aufgeregt?«, fragt
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