Ansichten eines Klaus - Roman
Rollladenrunterlassen hingelegt.
Dann gehe ich hinten raus.
NACH DER HOCHZEIT
Jedes Mal, wenn ich hier unten in der Küche den Rollladen hochziehe, weiß ich wieder, wieso ich vier Stockwerke weiter oben wohne. Blicke ich aus dem Küchenfenster meiner Wohnung, habe ich am unteren Rand noch einige Dächer im Blick und dann – Himmel. Im Herbst oder bei Regen ist der Himmel eine matte, farblose Fläche ohne Struktur. Aber es ist wenigstens Himmel. Wenn ich hier unten in der Küche den Rollladen hochziehe, singe ich mir aufmunternd ein »Zieh auf, zieh auf, zieh auf, zieh auf, kleiner Kneipenbesitzer, zieh auf« zu. Und der Rollladen quietscht dazu. Manchmal klemmt er auch, wie jetzt. Müsste mal wieder geölt werden. Werde ich mal Rolf sagen, der ist geschickt, der weiß, welche Tasten er drücken muss, um den richtigen Handwerker an die Strippe zu kriegen. Wahrscheinlich kann er den Kasten sogar eigenhändig auseinanderschrauben, ohne dass ihm der ganze Kladderadatsch entgegenkommt. Außerdem steht es in seinem Arbeitsvertrag, sich um solcherlei zu kümmern.
Ist der Rollladen aber erst mal oben, sehe ich – Hinterhof. Die Wand gegenüber ist grau, genauso grau wie vor zwölf Jahren, als ich die Kneipeübernommen habe. Und wenn die Wand jemals neu verputzt werden sollte, dann wahrscheinlich in demselben Hinterhofgrau, und vorher werden Farbproben angelegt, welches Grau am besten zur Geltung kommt und am längsten hält. Die graue Wand, der Blitzableiter, das Fenster. Weiße, angegilbte Kunststoffrahmen, doppelt verglast. Dahinter wohnt eine Frau. Auch schon so lange, wie ich den Theaterklaus habe. Wahrscheinlich. Eines Tages war sie da. Wie man sich eben irgendwann mal sieht. Da achtet man nicht drauf, ob es das erste Mal ist oder welcher Wochentag. Wenn wir uns zufällig am Fenster sehen, lächeln wir uns kurz zu. Manchmal winkt einer von uns, dann winkt der andere zurück. Meist winkt sie zuerst. Aber wann das angefangen hat? Frag mich einer. Und im Theaterklaus war sie noch nie. Aber so ist das in diesen anonymen Großstädten des 21. Jahrhunderts. Man wohnt jahrelang nebeneinander, sieht sich ab und zu am Fenster gegenüber, lächelt auch, aber mal in die Kneipe seines Nachbarn zu gehen, nein, das schafft man nicht. Ich weiß noch nicht einmal, wie sie heißt. Ich könnte mir die Klingelschilder am Nachbarhaus ansehen, dann wüsste ich ihren Nachnamen. Aber wüsste ich dann mehr? Sie steckt sich die Haare hoch zusammen. Sie trägt mit Vorliebe etwas Gestreiftes, jedenfalls, wenn sie in der Küche herumfuhrwerkt. Sie hat eine Katze, weiß mit hellbraunen Flecken. Die streunt nachtsmanchmal im Hof herum. Manchmal auch weiter, aus dem Hof raus, wenn das Tor offen ist, und dann die Straße lang. Schon so manches Mal spazierte sie an mir vorbei, wenn ich nachts meine Kneipe zuschloss. Ist ja nicht mal richtig die Nachbarskatze, ist die Katze vom Nachbarhaus. Streunt in der Gegend rum und kloppt sich manchmal mit anderen Katzen, die sich in den Hof verirren. Das Geschrei schallt dann bis zu mir hoch in den vierten, wie in einem Trichter, und klingt wie schreiende Babys. Schreiende Babys, die sich nachts im Hinterhof kloppen.
Ich werfe einen Blick in die Küche gegenüber. Und auf den grauen Hof. Dann lenke ich meine Schritte voran, zum Lüften. Alle Rollladen ziehe ich hoch, alle Fenster und Türen reiße ich auf. Ich bin gespannt, wie die Meute gestern Abend den Laden hinterlassen hat. Stickig, denke ich, als ich am Tresen stehe. Aber war ja klar. Der Rest ist ordentlich zusammengestellt, Tische und Stühle, da muss ich nachher nur mal durchfegen. Wahrscheinlich hat Rolf gestern doch noch mehr gemacht, als er eigentlich sollte. Das ganze Geschirr stapelt sich in der Küche. Soll abgeholt werden, hat Rolf gesagt. Na dann. Wenn nicht, rufe ich Petra an ihrem Flitterwochenende an, dann kann sie herkommen und selber abspülen. Oder Paula schicken.
Ich schiebe den dicken braunen Vorhang auf und werfe ihn über die Messingstange, sonst kann dieLuft nicht zirkulieren. Er kommt wieder runter, will lieber herumhängen. Nichts da. Beim zweiten Versuch bleibt er oben und bildet ein unansehnliches braunes Knäuel, das leise vor sich hin staubt. Muss mal wieder in die Reinigung. Werde ich Rolf sagen. Langsam lohnt es sich, einen Zettel anzulegen. Ich schiebe die Tür auf und will sie gerade festhaken, da sehe ich sie da sitzen. Die Katze. Ein hellbraunes Wesen mit weißen Flecken oder umgekehrt. Wahrscheinlich
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