Ansichten eines Klaus - Roman
selbst der Hund ist eingeschlafen. Seine Nase schnuppert im Schlaf und seine Vorderpfoten zucken. Wahrscheinlich träumt er, denke ich.
»Ich werd dann mal«, sage ich, klopfe zweimal auf den Tisch und stehe auf. Mein halbvolles Glas trage ich vorsichtig hinter den Tresen und kippe das Bier weg. Man muss nicht immer alles austrinken.
»Nacht, Rolf«, sage ich. Manuela kommt aus der Küche, schon halb im Mantel, und versucht gerade, ihren linken Arm in den Ärmel zu bekommen. Ich helfe ihr.
Sie lächelt und streicht mir noch mal über den Oberarm: »Und danke noch mal, ich freue mich so ...«
»Jaja«, sage ich langsam, ich muss wirklich schlafen gehen, ich kann ja kaum noch reden, »lass mal, und die Leute kucken auch schon.«
»Ach, da kuckt keiner. Und wenn schon. Bis morgen.«
»Jaja.« Ich drängle mich an ihr vorbei Richtung Küche, lass dort noch schnell die Rollladen runter, dann gehe ich nach oben.
Und dann, als ich oben bin, gehe ich wieder runter. Weil ich meine Schlüssel unten habe liegen lassen. Zum ersten Mal seit – immer. Seit ich die Kneipe habe, habe ich noch nie den Schlüssel unten gelassen, und seit ich überhaupt Schlüssel habe, noch nie einen verbummelt oder verloren. Oder vergessen. Die ganzen Geschichten, nur mal kurz vor die Tür gegangen, Luftzug, zugefallen, Schlüsseldienst holen, weil der Schlüsselbund drinnen auf der Anrichte liegt – ist mir nie passiert. Ich hab nicht mal eine Anrichte. Und jetzt hab ich nicht mal einen Schlüssel, um durch den Eingang vom Hausflur in meine Kneipe zu kommen. Wenn ich klopfe, hört das ja niemand. Da geht’s schneller, ich gehe vorn rum, also gehe ich vorn rum. Was passiert als Nächstes? Lass ich das Bügeleisen an? Vergesse ich, den Herd auszumachen? Schließe ich gar nicht mehr ab? Bringe ich Termine durcheinander? Herzlich willkommen zur zweiten Lebenshälfte. Sie sind jetzt alt und werden vergesslich. Das war’s.
Als ich aus dem Haus komme, knutscht Manuela mit einem Mann. Nicht draußen in aller Öffentlichkeit oder mit einem Bein angewinkelt an die Hauswand gedrückt, sondern in einem Auto. Ich weiß gar nicht, wieso der Wagen mir überhaupt auffällt. Die Scheinwerfer sind aus, die Innenbeleuchtung auch, trotzdem erkenne ich sie sofort. Ein Reflex im Augenwinkel. Vielleicht, weil sie sich bewegen. In parkenden Autos rührt sich ja sonst nichts. Na, dann weiß ich jetzt was Neues von meiner Kellnerin, was ich noch nicht von ihr wusste. Oder wissen wollte. Dass sie einen Freund hat. Oder jedenfalls einen Mann, der sie abholt und mit dem sie knutscht. In einem Auto. Und dass der Mann reich ist oder ein professioneller Angeber, der sich traut, in dieser Gegend seinen BMW zu parken. Vielleicht aber auch nicht, und deswegen bleiben sie drin sitzen.
Ich schleiche mich an den beiden vorbei, immer an der Hauswand lang. Aber die merken sowieso nichts, die sind zu beschäftigt – mein Gott, so hab ich in der Schule zum letzten Mal geknutscht. Ich bin fast um die Ecke, da muss ich mich doch noch mal umdrehen. Zugegeben, ich bin betrunken. Ein bisschen. Deshalb braucht mein Hirn ein paar Sekunden länger, bis es die Eindrücke verarbeitet hat, hinzu kommt mein Alter, wie ich ja jetzt weiß. Ich dreh mich um. Es braucht einen Moment. Von hier aus sieht es aus wie Alexander, der da mit meinerKellnerin rummacht. Ja, tatsächlich, er ist es. Ich kann mir ja mal das Datum merken. Falls ich gefragt werde, wann ich alt geworden bin, kann ich sagen: Das war am Soundsovielten, da hab ich zum ersten Mal meinen Schlüssel vergessen und meine damalige Kellnerin Manuela hat mit Alexander geknutscht. Nicht, dass ich sie nicht gewarnt hätte.
Mir ist das doch egal. Ich bin betrunken, und das da passiert gar nicht. Zugegeben, der Hinterkopf der Frau da in dem Auto hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hinterkopf von Manuela, auch die Größe, die Haare. Und der Mann sieht ein bisschen aus wie Alexander, jedenfalls im Profil im Halbdunkel. Und die Nummer des BMW, in dem sie sitzen, fängt nur zufällig mit B-AN an. Ich muss wirklich ins Bett. Nur ein paar Schritte, das ist die Tür, dann bin ich wieder in meiner Kneipe, meine Stammgäste begrüßen mich mehr besorgt als fröhlich. Ob ich Gespenster gesehen habe, fragt mich Sarah, ich sähe ein wenig bleich um die Nase aus. Der Hund gähnt und sieht mich an.
»Nein«, sage ich, »nur meine Schlüssel vergessen.«
Ich winke in die Runde, finde meine Schlüssel in der Küche, na klar, da hatte ich sie beim
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