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Anthologie - Das Lustbett

Anthologie - Das Lustbett

Titel: Anthologie - Das Lustbett Kostenlos Bücher Online Lesen
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mit seinem nicht loszuwerdenden Stein und warte nur noch auf den Fall.
    La Chute; ach, könnte man doch nur diesem verdammten Camus entkommen (oder Jean-Christophe, oder Julien Sorel, das spielt keine Rolle, denn alle beharren auf ihrer Überzeugung, daß das Absurde die einzige Realität sei, der man ins Auge zu blicken habe), denn letzten Endes sind alle diese Probleme doch so verdammt gymnasiastenhaft. Man hätte dieses Stadium schon vor langer Zeit überwinden sollen, aber ich nehme an, daß man in der Entwicklung ein bißchen zurückgeblieben ist und folglich das Absurde als eine Entschuldigung betrachtet, was man einmal Sartre vorgeworfen hat. Aber das ist schon lange her.
    Hier kommt also Christus die Treppe hoch, gerade als Sisyphus sagt: »Verdammt, da rollt das Ding schon wieder den Berg hinab!« Und im zweiten Stock fiel die Guillotine so, wie ein warmes Messer Butter durchschneidet, durch den Hals Julien Sorels (oder wurde er gehängt?), und was mit Jean-Christophe geschah, weiß wohl niemand mehr, am allerwenigsten Romain Rolland.
    Im Jahre des Heils neunzehnhundertachtundsechzig hier zu sitzen und an neunzehnhundertvierundsechzig zurückzudenken und dennoch nicht von Romain Rolland losgekommen zu sein: das ist doch wohl – wenn es überhaupt eines gibt – ein Zeichen von Unreife. Lassen Sie mich das dem Konto der »Künstlernatur« zuschreiben, denn in Sachen ausgestandener Pubertätskrämpfe ist ein gutes Gedächtnis eine gute Voraussetzung für künftige Schöpferkraft, selbst wenn sich die schöpferische Kraft darin bekundet, daß sie Vorhandenes neu erschafft. Der reproduzierende Künstler – ach, zum Teufel mit dieser Scheiße.
    »Guten Tag, mein junger Freund, hier ist also der verlorene Sohn. Mir ist zu Ohren gekommen, daß die Muse dem Eros vorübergehend hat weichen müssen, ja doch: Gerüchte verbreiten sich schneller, als man glaubt. Es gibt viele Kundschafter, besonders, wenn es um unangenehme Dinge geht. Nun ja, damit will ich nichts Nachteiliges über den Eros sagen, ich bin ja schließlich Franzose, aber manchmal nimmt es doch ein wenig zuviel Zeit in Anspruch, und wir müssen ja an das Konzert denken, schließlich bleiben uns nur noch zwei Wochen, bis es soweit ist.«
    Ach Gott, wie schön ist es, Seehundsohren zu haben. Wenn der Alte erstmal den ersten Satz zu Ende gebracht hat, weiß man, wie’s weitergeht, und außerdem scheint er gar nicht wütend auf mich zu sein, weil ich mich eine Woche lang nicht habe blicken lassen, und deshalb kann ich es mir ohne weiteres leisten, einfach abzuschalten.
    Jetzt wurde es still. Was hat er eigentlich gesagt, er sieht aus, als erwartet er, ich müsse aufstehen und ihm um den Hals fallen, als ob ich nichts anderes zu tun hätte (beispielsweise an Harriets wunderbares, pulsierendes Inneres zu denken, das sich wie ein seidener Mantel um mein zerspringendes Glied schließt, und jetzt muß ich – es ist wirklich nicht zu fassen – mit gekreuzten Beinen dasitzen, sonst sieht er, daß ich jetzt schon wieder einen Steifen in der Hose habe, und den hätte er auch, wenn er Harriet kennen würde und an sie dächte, denn so alt ist er schließlich auch nicht), es wird also am besten sein, einfach zu fragen, und die schon oft bewährte Miene »Verzeihung, ich habe nicht aufgepaßt« aufzusetzen.
    »Entschuldigung, ich war eben in Gedanken…«
    »Ich habe es während der letzten fünf Minuten bemerkt. Ist sie blond oder dunkel?«
    Der ging aber ‘ran… Es konnte nicht schaden, mit der Wahrheit herauszurücken.
    »Dunkel.«
    »Musikalisch, wie ich hoffe.«
    »Sie spielt Cello wie eine Göttin, und dennoch ist sie fast eine Autodidaktin mit Ausnahme einiger Stunden bei Leonard Rose. Wir haben neulich Beethovens Opus 69 zusammen gespielt, und sie spielte musikalischer als Rostropovitch, singender als Starker und viel exakter als Casals, damit Sie’s auch ganz genau wissen.«
    »Na, na, du legst dich aber ganz schön ins Zeug, mein Junge.«
    Es war das erstemal seit zwei Jahren, daß er mich duzte.
    Einen Augenblick lang saßen wir stumm da und sahen uns an, und er hatte ein freundlich-ironisches Zwinkern in den blaßblauen Augen unter den weißen buschigen Augenbrauen.
    »Es ist eine Tatsache, daß sie auf ihrem Instrument manchmal besser ist als ich auf meinem. Und trotzdem ist sie im strengen Wortsinn eine Amateurin.«
    Ich merkte selbst, daß ich ‘ranging, als verteidigte ich meine schwerkranke Mutter.
    Er stand auf und ging ans Fenster. Dort blieb

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