Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anthologie - Das Lustbett

Anthologie - Das Lustbett

Titel: Anthologie - Das Lustbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
er stehen, wandte mir den Rücken zu und sah in Richtung Trocadero.
    »Während du an deine amourösen Eskapaden gedacht hast, habe ich ein Detail erwähnt, das dich in hohem Maße interessieren sollte, nämlich, daß von Jarakoc deine Tonbandaufnahme vom Mozart-Konzert neulich bei mir zu Hause gehört hat. Die Aufnahme, die wir mit dem Orchester des Konservatoriums eingespielt haben und die du, um deine eigenen Worte zu gebrauchen, gar nicht so übel fandst.«
    »Sehr schön, das zu hören.«
    »Unterbrich mich nicht. Er mochte die Aufnahme nicht nur, sondern sagte auch eine Menge anderer Komplimente, auf die ich jetzt aus naheliegenden Gründen nicht näher eingehen möchte; kurz gesagt, er ist bereit, dich zu begleiten, wenn du der Meinung bist, daß du gerade dieses Konzert in zwei Wochen spielen möchtest.«
    »Das hört man gern.«
    »Bitte keine Ironie, denn dazu hast du keinen Grund. Man kann vom Menschen von Jarakoc halten, was man will, in diesem Fall ist das deine Sache, aber auf der anderen Seite müssen wir anerkennen, daß er ein großartiger Dirigent ist. Und dieser Mann hat sich bereit erklärt, dich als Solisten zu akzeptieren, und du kannst es dir nicht leisten, diese Gelegenheit in den Wind zu schlagen. Er ist in Berlin etabliert. Er ist in Salzburg etabliert, und was er sagt, hat überall dort Gewicht, wo es einen Orchestergraben oder ein Podium gibt. Jetzt geht es um Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 in d-Moll, Köchelverzeichnis 466. Willst du dich um diese Chance bemühen oder nicht?«
    Lange Pause.
    »Nun?«
    »Was meinen Sie, Herr Professor?«
    »Mit dem Vorrecht des Älteren habe ich mich heute dazu entschlossen, ›du‹ zu dir zu sagen, und zwar zum ersten Mal. Das bedeutet, daß auch du mich duzen kannst, allerdings wäre es mir lieb, wenn du es vorerst nicht vor den anderen tätest. Sie sollen es erst nach dem Konzert hören – vorausgesetzt, es wird alles so ausgehen, wie ich mir das vorgestellt habe… Ja, ja, ich weiß, das klingt wie ein Vorbehalt, und ich kenne deine sogenannte Konsequenz, aber in zwischenmenschlichen Beziehungen ist sie nicht immer gültig. Ich bin alt – nein, widersprich mir nicht – und du bist jung und hast also das Recht, dir an alten Mauern aus Vorurteilen die Hörner abzustoßen. Tu’s ruhig! Einer muß es tun, und es wird sich immer jemand finden, der nachfolgt. Aber wähle die schwächste Stelle der Mauer, denn die, die dir nachfolgen, werden selbst nicht so intensiv nachdenken, daß sie diese schwache Stelle von allein entdecken. Also nur Mut, hinein, stürze von Jarakoc und den Rest des Establishments, wenn du kannst. Wenn du dann aber Musik machen kannst und den Menschen gibst, was sie brauchen… dann bist du ein größerer Mensch, als ich von dir vermute.«
    Was soll man auf so etwas antworten? Der Monolog ging noch eine ganze Weile in dieser Tonart weiter. Ich hörte sehr aufmerksam zu, aber was gesagt wurde, kann in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben. Das Ergebnis war jedenfalls, daß ich in zwei Wochen das Mozart-Konzert spielen sollte, und daß Casadesus der Meinung war, sein Renommee – nun ja, nicht ganz und gar – hänge vom Ergebnis dieses Abends ab.
    »Aber meinst du wirklich, daß ich die Beethoven-Kadenz spielen soll?« meinte ich nachdenklich.
    »Du kannst jede Kadenz spielen, die du spielen willst, aber man hat nicht immer das Vergnügen, eine Mozart-Kadenz mit einer Beethoven-Kadenz zu spielen, nicht wahr? Und von einem rein musikalischen Standpunkt aus muß man doch zugeben, daß sie die beste ist. Nimm sie ruhig!«
    »Ist d’Heilencourt hiergewesen?« Ich glaubte, es wäre das beste, gleich offen zu fragen.
    »Nein.«
    »Nun, wenn das so ist, dann…«
    »Er ist nicht hiergewesen, aber ich habe gestern mit ihm zu Mittag gegessen. Er hat mich eingeladen.«
    Verdammt… Jetzt drehte er sich um und setzte sich mit einem leisen Seufzer.
    »Du hast eine seltene Begabung, Verwirrung zu stiften. Im ersten Jahr deines Aufenthalts hier war es diese Sängerin, wie hieß sie noch, na, ist auch egal. Und dann kam der Pendelverkehr zwischen diesem Institut und der Ballettschule. Der Direktor war nicht sehr erfreut darüber, und seine Freude wurde auch nicht größer, als deine revolutionären Reden auf syndikalistischen Treffen in ganz Paris bekannt wurden. So etwas ist für die Stipendien auf lange Sicht nicht gut, was du wohl auch selbst einsiehst. Entweder ist man Musiker oder Politiker, aber beides zugleich kann man nicht sein.

Weitere Kostenlose Bücher